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Hochschulen: Lästige Lehre

Streit ums Studium: Warum der Wissenschaftsrat seine Empfehlungen vertagt hat.

Jährlich 1,2 Milliarden Euro zusätzlich benötigen die deutschen Hochschulen, um die Qualität der Lehre zu verbessern. Von dem Geld soll vorrangig neues Personal „mit dem Schwerpunkt Lehre“ finanziert werden. Zudem sollen Hochschulen und Länder „Fortbildungseinrichtungen“ und überregionale „disziplinäre Fachzentren“ aufbauen, in denen Lehrende fortgebildet und didaktische Konzepte entwickelt werden. Das sind zentrale Punkte der „Empfehlungen zur Qualität von Lehre und Studium“ des Wissenschaftsrats, die dem Tagesspiegel in einem Entwurf vorliegen.

Das Gremium hatte die lange erwarteten Empfehlungen Anfang Mai überraschend vertagt – auf seine Julisitzung. Dafür habe es gewichtige Gründe gegeben, sagte Jan-Hendrik Olbertz (parteilos), Wissenschaftsminister in Sachsen-Anhalt und Vorsitzender der Verwaltungskommission des Wissenschaftsrats, jetzt dieser Zeitung. Die pauschale Forderung von 1,2 Milliarden Euro könne so nicht stehen bleiben. Sie eröffne den Finanzministern die Möglichkeit, „sie schnell vom Tisch zu wischen“. Zwar veranschlagt der Wissenschaftsrat für zusätzliche Personal- und Sachmittel 670 Millionen Euro jährlich sowie für Beratungs- und Betreuungsangebote 530 Millionen. Es sei aber nicht plausibel, wie diese Beträge zustande gekommen seien, sagt Olbertz. Er wolle bei der Finanzierung auch den Bund ins Boot holen; der könne die Lehr- und Lernforschung an den „Fachzentren“ fördern. Darüber hinaus müssten die bislang etwa 100 Seiten umfassenden Empfehlungen gestrafft und mit einer zusammenfassenden Präambel versehen werden.

Einen weiteren Grund für die Vertagung nennt Berlins Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner (SPD). Gegen die Forderung, das Lehrdeputat für Professoren zu erhöhen, habe es bei der Maisitzung in Rostock „eine Revolution“ gegeben, sagte Zöllner kürzlich bei einer Veranstaltung an der Humboldt-Uni. Mehr Freiräume für die Forschung seien den Wissenschaftlern stets willkommen, gegen ein Mehr an Lehre jedoch wehrten sie sich. Der Schlüssel liege in der wissenschaftlichen Kommission, der 24 renommierte Vertreter universitärer und außeruniversitärer Einrichtungen angehören, heißt es aus Politik und Wissenschaft. Der Widerstand richte sich gegen die „Professuren mit Schwerpunkt Lehre“. Einige Mitglieder der Kommission hätten vom Wissenschaftsrat erwartet, dass Professoren eher von der Lehre befreit würden.

Tatsächlich argumentiert der Wissenschaftsrat differenziert: Zwar sollen Professoren mit Schwerpunkt Lehre an den Unis bis zu 12 Semesterwochenstunden unterrichten, statt der heute vorgeschriebenen acht bis neun Stunden. Die Länder müssten es den Hochschulen aber ermöglichen, die Lehrdeputate für alle Professuren je nach Zeitaufwand, Anzahl der Studierenden und Veranstaltungsform flexibel festzusetzen. Zudem fordert das Gremium eine neues Kapazitätsrecht. Bislang werden die Hochschulen auf bundesweit einheitliche Betreuungsrelationen festgelegt. Die aktuellen Betreuungsverhältnisse seien vor allem an den Unis schlecht; im Schnitt werden 58 Studierende von einem Professor betreut, in den Wirtschaftswissenschaften sind es gar 93 Studenten.

Allerdings werden Hochschullehrer in den Empfehlungen deutlich in die Pflicht genommen. „Die Lehre wird in der Selbstwahrnehmung zur ,Belastung’, Freiräume für Forschung hingegen zur ,Belohnung’“. „Eine offensichtliche Vernachlässigung der Lehre und der Studentenbetreuung“ werde allenfalls in Ausnahmefällen bestraft. Wer sich dagegen in der Lehre stark engagiere, sei durch den Zulauf der dankbaren Studierenden und viele Prüfungen noch mehr belastet. Der Wissenschaftsrat mahnt ein „neues verbindliches Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden“ an, betont jedoch, dass die Defizite in der Lehre nicht mehr allein durch individuelle Anstrengungen kompensiert werden könnten.

Herausragendes Engagement solle künftig mit einem hoch dotierten „nationalen Lehrpreis“ ausgezeichnet werden. Die Hochschulen fordert der Wissenschaftsrat zudem auf, die Lehre auch systematisch aufzuwerten. So solle die Berufung von Professoren „konsequenter an den Nachweis von Lehrkompetenz“ gebunden sein.

Die Studierenden sollen durch eine Reihe von Maßnahmen unterstützt werden: Die Hochschulen müssten ein flächendeckendes Angebot von Tutoren und Mentoren schaffen. Am Anfang des Studiums soll eine Orientierungsphase stehen, in der ein Fachwechsel nicht als Abbruch gilt. Insgesamt müssten die Studiengänge „studierbar“ gemacht, also inhaltlich und zeitlich besser abgestimmt werden. Die Qualität der Lehre soll künftig messbar sein: Um die Lehrleistungen und den Kompetenzgewinn durch ein Studium zu messen und damit verbindlich zu machen, müssten die Hochschulen neuartige „Bewertungsinstrumente“ aufbauen.

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