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Schule: Importierte Türkischstunde

An deutschen Schulen dürfen weiterhin Lehrer aus der Türkei kostenlosen Sprachunterricht geben. Es fehlen die Alternativen

Ein Samstagnachmittag im Türkischen Haus an der Urania, Mitte Januar. Die etwa 30 Anwesenden haben gerade eine Schweigeminute für den türkischen Staatsgründer Atatürk gehalten, als Olcay Basegmez ans Pult tritt. „Wir haben es geschafft“, sagt der grauhaarige Vorsitzende des Vereins zur Förderung der Ideen Atatürks Berlin-Brandenburg. In einer „Blitzaktion“ hätten junge Mitglieder des Vereins 10 000 Unterschriften gesammelt und im November vor dem Bundesministerium für Arbeit abgegeben. Dank dieser Mühen könnten Konsulatslehrer für muttersprachlichen Türkischunterricht nun weiter an Schulen lehren. Zum Dank erhalten die engagierten Nachwuchskemalisten vom Vorsitzenden eine Urkunde überreicht.

Tatsächlich sollte es ab 2010 in Deutschland keinen Türkischunterricht mehr geben, der von Konsulaten organisiert ist. Laut Arbeitsministerium sollte Ende 2009 die Regelung außer Kraft treten, die den „Import“ von Türkischlehrern durch diplomatische Vertretungen ermöglichte. Doch dann entschied das Ministerium anders: Die Vorschrift über die Zulassung ausländischer Lehrer wurde „entfristet“. Das bedeutet, dass Deutschland endgültig dabei bleiben will, muttersprachlichen Ergänzungsunterricht über kostenfreie Lehrer aus der Türkei anzubieten.

Die Entscheidung sei bereits gefallen, bevor die Unterschriften des Berliner Vereins an der Tür des Arbeitsministeriums abgegeben wurden, sagte eine Sprecherin des Ministeriums auf Anfrage. „Zahlreiche deutsche Lehrer unterrichten an Schulen im Ausland“, so die Begründung. Mit der jetzigen Regelung werde ermöglicht, dass auch weiterhin Lehrkräfte im Austausch entsendet werden könnten. Laut Ministerium wurden seit 2007 rund 430 Lehrer aus der Türkei zugelassen. Ihr Aufenthalt ist auf fünf Jahre begrenzt. Die Türkische Botschaft gibt an, dass in Berlin 53 solcher Lehrer an knapp 140 Schulen beschäftigt sind. Rund 4300 Schüler besuchen demnach freiwillig den meist am Nachmittag angebotenen Muttersprachunterricht, deutlich mehr als in den Vorjahren. Deutschlandweit seien es 100 000 Schüler.

Der Ergänzungsunterricht durch türkische Konsulate ist von jeher umstritten. Kritiker werten ihn als Einflussnahme der Türkei auf Kinder in Einwandererfamilien, da die Lehrmaterialien aus Ankara stammen und türkischen Staatskundeunterricht beinhalten. Weder Lehrer noch Unterrichtsstoff seien auf Deutschland ausgerichtet. Die Befürworter hingegen heben hervor, dass gute muttersprachliche Grundlagen für den weiteren Spracherwerb wesentlich seien. „Viele Kinder aus türkischen Familien kommen in die Schule und können weder Deutsch noch richtig Türkisch“, sagt Özcan Mutlu, Bildungsexperte der Grünen. Auf diesen rudimentären Muttersprachkenntnissen würden die Lehrer versuchen, die deutsche Sprache aufzubauen. „Es ist wichtig, dass die Kinder schon in der Grundschule ein Fundament für ihre erste Sprache bekommen“, so Mutlu. Er spricht von einem „Versäumnis Deutschlands“ im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, die den sogenannten muttersprachlichen Unterricht längst in die reguläre Schulerziehung integriert hätten.

In Berlin füllt das Konsulatsangebot eine Lücke: Es ist ein Zusatzangebot für Grundschüler – ohne großen Aufwand. Die Möglichkeit, Türkisch als reguläre Fremdsprache zu wählen, gibt es außerhalb der speziellen Europa-Schulen erst ab der 7. Klasse. Außerdem gibt es an fünf Grundschulen das Angebot einer deutsch-türkischen Alphabetisierung, doch die Nachfrage nach Türkisch als Unterrichtssprache ist nicht sehr groß. Nach wie vor mangelt es in Deutschland an ausgebildeten Türkischlehrern. Einen Lehramtsstudiengang Türkisch gibt es bislang nur in Nordrhein-Westfalen.

Vereinsvorsitzender Olcay Basegmez, der die Fortführung des Konsulatsunterrichts als großen Erfolg feiert, bezeichnet diesen Umstand als „suboptimal“. „Wir brauchen einen Türkischunterricht mit Bezug zu Deutschland“, sagt er, bevor er die Dankes-Urkunden an die Unterschriftensammler verteilt. Zwar sei es begrüßenswert, dass die Lehrer vor der Anreise aus der Türkei inzwischen einen sechsmonatigen Vorbereitungskurs erhielten. „Aber oft treffen sie auf Kinder, deren Lebenswelt sie nicht verstehen.“ Basegmez seufzt. „Trotzdem: Besser so als gar keinen Zusatzunterricht für unsere Kleinen.“

Ferda Ataman

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