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Schule: Kooperieren, konzentrieren: Kreuzberg im Fusionsfieber

Preisgekrönte Zelter-Schule wird erhalten und Teil der Wrangelkiez-Schule Bildungssenator Zöllner tourt durch die Stadt und erklärt Eltern die Reform

Guido Landreh lebt zur Zeit in einer paradoxen Situation. Er ist der Leiter der Kreuzberger Schule mit dem denkwürdigen Namen „Stadt als Schule“. Einerseits“, sagt er, „könnten wir jetzt feiern, dass die Ideen, mit denen wir vor 20 Jahren angetreten sind, nun Standard in den neuen Sekundarschulen werden.“ Andererseits aber seien die Kollegen sehr „verbittert“. Denn ausgerechnet ihre Schule wird aufgelöst, und die Zukunft ist unklar.

Was Landreh und seinem Kollegium derzeit passiert, ist nicht untypisch, denn Berlins Schullandschaft wird in diesem Jahr gehörig durcheinandergewirbelt. Rund zwei Dutzend kleinere Haupt- und Realschulen fallen weg, weil die Sekundarschulen – zugunsten einer besseren Schülermischung – mindestens vier Parallelklassen haben sollen. Seit Montagabend tourt Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) durch die Bezirke, um Eltern und Lehrern Rede und Antwort zu stehen. Seine erste Station war Charlottenburg-Wilmersdorf, wo die Welt vergleichsweise in Ordnung: ist: Bildungsstadtrat Reinhart Naumann (SPD) hat die Weichen schon weitgehend in Richtung „Reform“ gestellt und muss nicht mehr mit größeren Konflikten rechnen.

Anders ist es in Friedrichshain-Kreuzberg. Hier warten auf Bildungsstadträtin Monika Herrmann (Grüne) noch größere Brocken. Zum einen will sich die „Stadt als Schule“ nicht ohne Weiteres geschlagen geben. Zum anderen steht eine aufwendige Fusion bevor: Die mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnete Carl-Friedrich-Zelter-Schule aus der Wilhelmstraße soll mit der Borsig-Realschule und der Eberhard-Klein-Hauptschule zu einer „Sekundarschule Wrangelkiez“ zusammengeschlossen werden.

Robert Hasse, der Rektor der Zelter-Schule, sieht der baldigen Schließung seiner Schule gelassen entgegen: Es sei zwar schade um das schöne Schulgebäude, aber immerhin soll das pädagogische Konzept seiner Schule, die besonders eng mit Unternehmen zusammenarbeitet, in der neuen Schule eine entscheidende Rolle spielen. Hasse sieht die anstehende Strukturreform jedenfalls für die Gesamtstadt als Chance, weil er für Hauptschule als Schulform keine Zukunft sieht.

Dennoch dürfte die Fusion im Wrangelkiez nicht reibungslos verlaufen, denn zunächst muss die Leitungsfrage geklärt werden: Keiner der drei betroffenen „Fusionsrektoren“ ist im Rentenalter, jeder befindet sich auf einer anderen Besoldungsstufe. Falls die Leitungspositionen fusionierter Sekundarschulen nicht neu ausgeschrieben werden, würde automatisch der Leiter mit der höchsten Besoldung den Zuschlag bekommen – ohne Rücksicht auf die spezielle Befähigung für den Posten. Ob Zöllner dies zulässt, ist noch nicht geklärt.

Für andere Fragen ist der Bezirk mitzuständig. So muss Bildungsstadträtin Monika Herrmann (Grüne) dafür geradestehen, dass die „Stadt als Schule“ geschlossen werden soll. Und dass stattdessen wenige Straßen entfernt die neue „Sekundarschule Graefekiez“ geplant ist, die einen Schwerpunkt auf das duale Lernen legt. In einem Positionsschreiben fordert der Förderverein von „Stadt als Schule“ daher, die Schule nicht zu schließen, sondern „das Kollegium mit dem Aufbau einer größeren Schule zu betrauen und dabei bewährte Organisationsprinzipien zu nutzen“. Rückendeckung bekommt der Förderverein von Bildungspolitiker Özcan Mutlu (Grüne), der an die Verantwortlichen appelliert, die „höchst bedauerliche Entscheidung“ zur Schließung zu überdenken.

Danach sieht es aber nicht aus, denn die geplante Schule im Graefekiez verfolgt ein anderes Konzept: Während die „Stadt als Schule“ ihre Schüler an drei Tagen pro Woche hinaus in die Betriebe schickt, soll die Kiezschule selbst zur Produktionsstätte werden: mit eigenen Schülerfirmen und in enger Kooperation mit der Handwerkskammer – als „Produktionsschule“.

Auch sonst fächert sich das schulische Angebot im Bezirk zunehmend auf: Die Friedrichshainer Georg-Weerth-Realschule etwa zieht in das Gebäude der Heinrich-Ferdinand-Eckert-Hauptschule und wird in enger Kooperation mit dem Oberstufenzentrum Wirtschaft ihren Wirtschaftsschwerpunkt ausbauen. Und die Eckert-Schule wird in die Nähe des Oberstufenzentrums Altenpflege ziehen und sich als Sekundarschule ebenfalls eine entsprechende Ausrichtung geben.

Keine Fusion eingehen will dem Vernehmen nach die Kreuzberger Ferdinand-Freiligrath-Schule. Sie will aus sich heraus zur Sekundarschule heranwachsen. Ob sie trotz ihres alten Labels „Hauptschule“ nächstes Jahr genügend Anmeldungen leistungsstärkerer Schüler bekommen wird, ist bei ihr ebenso unklar wie bei fast allen anderen bisherigen Hauptschulen. So bleibt auch abzuwarten, wie die neue „Sekundarschule Wrangelkiez“ angenommen werden wird – schließlich ist die dort bisher ansässige Eberhard-Klein-Schule dafür bekannt, dass sie seit langem keinen einzigen deutschstämmigen Schüler mehr hat.

Allerdings verfügt die Klein-Schule über ein großes modernes Gebäude mit besonderer Vergangenheit: Hier trafen sich im Frühjahr 2006 – nach dem Rütli-Schock – alle Hauptschulleiter Berlins und forderten in einem aufsehenerregenden Appell die Abschaffung ihrer Schulform. Nun ist es so weit.

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