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Kunsthaus Tacheles: Bis zum bitteren Ende?

Die Zwangsversteigerung war bereits festgesetzt, doch die Verantwortlichen konnten eine weitere, wohl letzte Gnadenfrist erkämpfen. Ihnen läuft die Zeit davon, der Verkauf soll erneut erzwungen werden. Was aber könnte ein Ende des Projekts für die Kunstszene bedeuten?

Die unverputzte Fassade der heruntergekommenen Kaufhausruine sticht aus der gewohnten Atmosphäre der Berliner Mitte heraus wie ein ungeschminktes Gesicht auf der Victoria's Secret Fashion Show. Über und über mit abblätternden Graffitis bedeckt, bieten die Frontwände zahllosen Plakaten und Spruchbannern Platz, auf denen alternative Ausstellungen beworben oder linke Parolen propagiert werden. Das Tacheles erscheint dem Besucher wie eine Art Oase der glücklichen Anarchie und Unvernunft in unserer monetär orientierten Gesellschaft, wie ein Gegenentwurf zum konventionell-kommerziellen Leben des 21. Jahrhunderts, der einen schon beim Betreten des Gebäudes so fesseln kann, dass man sogar den intensiv unangenehmen Geruch ignoriert. Ein Symbol für ein Leben fernab von gesellschaftlichen Ansprüchen oder Erwartungen mit dem simplen Ziel, Kunst zu machen.

Diesem Motto haben sich ungefähr 60 internationale, zeitgenössische Künstler verschrieben, denen die Ruine aktuell Wohn- und Arbeitsplatz bietet. Weder sind sie besonders bekannt, noch erfolgreich, aber darum geht es auch nicht. Das Tacheles bietet eben denen eine Heimat, die noch keine Ausstellungen in den großen Galerien dieser Welt hatten oder ihre Werke zu horrenden Summen verkaufen konnten. Diese Idylle ist vielleicht nicht einmalig, aber doch recht selten geworden in unserer heutigen Welt, die vorrangig von iPhones, Internet und Facebook bestimmt wird.

Und dennoch soll nun auch diese letzte Bastion der kommerzfreien Kreativität ein unrühmliches Ende finden, denn um frei zu leben, muss man sich finanzieren können. Und Geld haben weder die Künstler des Tacheles noch die Besitzer des Grundstückkomplexes, auf dem sich dieses befindet. Wie der Tagesspiegel bereits in den vergangen Monaten eingehend berichtete, hat die durch die Finanzkrise schwer gebeutelte Fundus Gruppe keine Möglichkeit mehr, das Gelände zu finanzieren. Seine Verwaltung obliegt nun der HSH Nordbank. Die Bank entschloss kurzerhand, die günstig gelegenen Grundstücke möglichst gewinnbringend zu veräußern. Wer also in diesen Tagen durch die Flure des Tacheles spaziert, hat gute Chancen, auf Dr. Michael Schultz zu treffen. Der Rechtsanwalt tut momentan sein Bestes im Auftrag einer nicht bekannten Eminenz im Hintergrund, die Künstler aus der Kriegsruine rauszukaufen. Mit den Gastronomen ist es ihm gelungen: Das Café Zapata verließ für die angebliche Summe von einer Millionen Euro das Tacheles. Auch drei junge Künstler konnten dem Angebot einer vier- bis fünfstelligen Summe für das schlichte Verlassen des Geländes und dem Aufgeben jeden Anspruchs auf Wiederkehr nicht widerstehen.

Die Übrigen jedoch haben sich zu einer festen Front verschworen. „Wenn man uns hier ’raus haben will, müssen uns die Polizisten schon selbst tragen,“ lässt Linda Cerna, Pressesprecherin des Tacheles, verlauten. „Und dann auch vor den Kameras dieser Welt.“ Sie seien bereit, bis zum bitteren Ende durchzuhalten. Auch die schrittweise Erschwerung des täglichen Lebens, zum Beispiel durch das Abstellen der Wasserzufuhr, meistern die Künstler mit geradezu bewundernswerter Geduld und viel Durchhaltevermögen. Als Reaktion auf diesen Schritt der Stadtverwaltung wurden einfach zwei Regenwasseraufbereitungsanlagen eingerichtet, welche jetzt immerhin wieder eine menschenwürdige Lebenssituation ermöglichen. Die Künstler haben nicht vor, sich unterkriegen zu lassen, sammeln Unterschriften und suchen den Kontakt zur Politik. So schickten sie Briefe an den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit und an Bundespräsident Christian Wulff. Dass sie meistens ignoriert und abgewiesen werden, hat sie hartnäckig, aber nicht verbittert werden lassen. Wenn man mit Linda Cerna spricht, merkt man ihr die absolute Entschlossenheit an, das Tacheles um jeden Preis zu retten. Denn würde es als über die Jahre gewachsenes, komplexes Gesamtkunstwerk einfach so von der Bildfläche verschwinden, wäre der internationale Imageverlust der Hauptstadt enorm und vor allem der Schaden für die junge, zeitgenössische Berliner Kunstszene schwer zu überwinden. Letztlich liegt die Entscheidung über die Zukunft des Tacheles bei den Besitzern und deren Gläubigern. Und so lässt sich nur hoffen, dass sich nach jahrelangen Querelen künftig eine gewisse Kompromissbereitschaft beiderseits  entwickelt, die es möglich macht, trotz verschiedener Weltansichten und Philosophien im Guten auseinander zu gehen und eine Lösung zu finden, mit der beide Seiten leben können.

Dieser Text entstand im Rahmen der Tagesspiegel-Schülerakademie.

Valerian Verny

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