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Latein und Griechisch: Fußball-Diskussion im Latein-Leistungskurs

Rund 19.000 Berliner Schüler lernen Latein, 8000 außerdem Altgriechisch. Die alten Sprachen werden immer stärker nachgefragt.

Wie stumpfsinnig ist es, Fan von Hertha BSC zu sein? Darf man als wahrer Fan die Mannschaft wechseln? Oder heißt es: Fan bleibt Fan, notfalls bis hinab in die dritte Liga? Wer glaubt, diese Fragen hätten mit Latein nichts zu tun, kennt den Latein-Leistungskurs der zwölften Klasse am Wilmersdorfer Goethe-Gymnasium noch nicht. Dort entspinnt sich eine hitzige Diskussion darüber – und die Schüler haben nicht etwa angefangen zu schwätzen, weil der Unterricht so öde ist.

Nein, diskutiert wird über einen fast 2000 Jahre alten Text von Plinius dem Jüngeren. „Unsinnigkeit der Circusspiele“ heißt die Passage, die Kursleiter Peter Danz mitgebracht hat. Schnell ist klar: So abfällig, wie Plinius über die „Stumpfsinnigkeit“ der Wagenrennen schreibt, hätte er für Fußballfans wohl ebenfalls nur blanke Verachtung übrig.

Das Goethe-Gymnasium ist eines von zwölf altsprachlichen Gymnasien in Berlin. Die Anforderungen sind hier besonders hoch: Latein oder Altgriechisch als Leistungskurs ist Pflicht, die jeweils andere Sprache müssen die Schüler als Grundkurs belegen – das gibt es an keiner anderen Berliner Schule. „Latein ist das kleinere Übel“, sagt der 17-jährige Paul, „weil wir es schon seit der fünften Klasse haben.“ Seine Mitschüler stimmen ihm zu. Trotzdem machen sie nicht den Eindruck, als hätten sie keinen Spaß am Unterricht – im Gegenteil: Es wird diskutiert und gelacht, jeder macht mit.

Laut Senatsbildungsverwaltung besuchen rund 8000 Schüler eines der zehn öffentlichen und zwei privaten Gymnasien mit altsprachlichem Schwerpunkt, das sind 10,4 Prozent der Schüler. Insgesamt lernen in Berlin fast 19 000 Schüler Latein als erste, zweite, dritte oder vierte Fremdsprache. Laut Bildungsverwaltung werden sowohl Latein als auch Altgriechisch in den vergangenen zehn Jahren immer stärker nachgefragt. Ein Grund für den Erfolg der altsprachlichen Gymnasien ist ihre Grundständigkeit. Ein großer Teil der Motivation der Eltern, ihr Kind auf ein altsprachliches Gymnasium zu geben, erkläre sich durch den Willen, „schon einen Platz nach der vierten Klasse zu bekommen“, sagt Stefan Kipf, Professor für Fachdidaktik der Alten Sprachen an der Humboldt-Universität und Bundesvorsitzender des Deutschen Altphilologenverbands. Allerdings sei vor allem Latein seit einigen Jahren so beliebt, dass dieser Effekt relativ gering ins Gewicht falle.

Tatsächlich erlebt Latein bundesweit einen Boom. Laut Statistischem Bundesamt lernten vor zwei Jahren bundesweit rund 832 000 Schüler Latein, ein Prozent mehr als im Schuljahr davor. „Latein ist aus der Verstaubung gekommen und hat sich als Fremdsprache Nummer drei etabliert“, sagt Kipf – nach Englisch und Französisch.

Die Sprache profitiere davon, dass die Kinder Englisch schon in der Grundschule lernen – dadurch falle die Entscheidung für eine Zweitsprache wie Latein leichter. Zudem sei der Unterricht viel lebendiger geworden. Vor allem in Berlin und Brandenburg seien die Lehrer sehr motiviert. „Zu freiwilligen Fortbildungen kommen hier regelmäßig 60 bis 70 Lehrer“, sagt Kipf.

Ihre Motivation geben die Lehrer an die Schüler weiter: Die alten Sprachen stehen bei den Berliner Schülern auch in der Freizeit hoch im Kurs. Zum Wettbewerb „Lebendige Antike“ etwa, den der Berliner Altphilologenverband alle zwei Jahre veranstaltet, melden sich jeweils 600 bis 700 Schüler an. Für Februar lädt Kipf begabte und an der Antike interessierte Schüler unter dem Motto „Fremde in Rom“ zur Winterakademie an die Humboldt-Universität ein.

Und seit letztem Montag versammeln sich knapp 80 Oberstufenschüler noch am späten Nachmittag einmal wöchentlich in einem Hörsaal der Freien Universität – zum Philosophischen Propädeutikum. „Wir mussten den Raum wechseln, weil sich so viele Schüler angemeldet haben“, sagt Gyburg Uhlmann. Die 34-jährige Leibniz-Preisträgerin ist Professorin für Gräzistik an der FU und hat das Propädeutikum gemeinsam mit Peter Danz konzipiert.

Eine der Teilnehmerinnen des Propädeutikums ist die 18 Jahre alte Maja, die im Goethe-Gymnasium Latein als Leistungskurs belegt und im Wahlfach Philosophie Lust auf die Materie bekommen hat. „Wir haben so viel diskutiert, das war toll“, sagt sie. In der ersten Stunde des Propädeutikums geht es nun um Fragen der Metaphysik. „Sokrates beschäftigt sich mit Problemen, die eigentlich für keinen Menschen wirklich ein Problem sind“, sagt Uhlmann. Zum Beispiel: Was ist schön? Was ist ein Tisch? „Das sind aber keine banalen Fragen“, sagt Uhlmann. Manche Schüler seufzen, andere bleiben noch nach der Doppelstunde, um mit der Professorin zu diskutieren. „Das war nach einem Schultag schon harte Kost“, sagt Maja. Trotzdem wird sie wieder zum Propädeutikum kommen – freiwillig und ohne Notenzwang.

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