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Dem Schülerschwund setzen viele Internate (im Bild Schloss Salem) spezielle Angebote entgegen, etwa eine ADHS-Betreuung oder intensive Berufsberatung.

© Felix Kästle/dpa

Lernen im Internat: So manches Bett bleibt leer

Leidet nach den Affären um die Odenwaldschule auch der Ruf anderer Internate? Anhaltspunkte dafür gibt es – genau wie viele überzeugte Eltern.

Ob Hanni und Nanni oder die Geschichten um den Zaubererjungen Harry Potter: In Büchern und Filmen werden Internate oft mit einer abenteuerlichen Jugend in Verbindung gebracht. Jetzt steht erneut die Odenwaldschule in der Kritik, ein Internat mit einigen berühmten Absolventen. Nachdem erst der lange zurückliegende Missbrauchsskandal ans Licht kam, geht es nun um einen Lehrer, der Kinderpornografie besessen haben soll. Leidet darunter der Mythos vom romantischen Internatsleben? Tatsächlich gibt es Anhaltspunkte dafür – einerseits. Andererseits haben viele Eltern nach wie vor ihre Gründe, den Nachwuchs auf Internate zu schicken.

„Verglichen mit den Zahlen von vor 15 bis 20 Jahren sind manchen deutschen Internaten bis zu 50 Prozent weggebrochen“, sagt Michael Büchler, Ehrenpräsident des Verbands Deutscher Privatschulverbände (VDP). „Die Einführung von Ganztagsschulen und die Missbrauchsvorwürfe haben zu einer Erosion geführt“, meint er. Einige Institutionen wie Schloss Gaienhofen am Bodensee schlossen ihren Internatsbetrieb ganz, andere schrumpften. Büchler selbst leitet das traditionsreiche Pädagogium Baden-Baden. Die seit 1887 familiengeführte Schule hat heute 130 Internatsplätze. „15 Betten stehen im Moment leer“, so Büchler.

In den Augen vieler Eltern überzeugen Internate aber immer noch mit guten Argumenten. Wer seinen Nachwuchs für rund 1700 Euro monatlich nach Baden-Baden schicke, lege Wert auf „Tradition, die Netzwerke der Schule, den Blick über den Tellerrand, Mobilität, die Erziehung zur Verantwortung, das soziale Lernen“, so Büchler. Viele Eltern seien beruflich sehr eingespannt, etwa in der Hotellerie oder Gastronomie. „Auch wenn im Elternhaus etwas schiefgeht, kommen viele zu uns, um den Kindern trotzdem familiäre Strukturen zu bieten.“ Manche Kinder würden vom Jugendamt ans Pädagogium vermittelt.

Die ganzheitliche Erziehung mit Mentoren ist vielen Eltern wichtig

Nach Auskunft des VDP gibt es aktuell etwa 250 private Internate in Deutschland mit meist zwischen 70 und 150 Schülern. Viele Häuser versuchten, den Schülerschwund mit spezialisierten Angeboten auszugleichen, sagt Petra Stieb von der VDP-Internatsberatung in Düsseldorf. „Spezielle Kinder brauchen spezielle Angebote.“ Dazu gehörten etwa eine ADHS-Betreuung gegen das sogenannte Zappelphilipp-Syndrom oder eine intensivierte Berufsberatung. Auch Kinder aus Russland, China, Süd- und Mittelamerika würden verstärkt aufgenommen, so Stieb.

Größtes Internat in Deutschland ist mit derzeit rund 630 Schülern Salem am Bodensee. Bei monatlichen Kosten von etwa 2800 Euro ist die klassische Klientel nach Angaben von Aufnahmeleiterin Dagmar Berger „der obere Mittelstand“. Wichtig sei den Eltern die ganzheitliche Erziehung mit Mentoren, die Vereinbarkeit des Unterrichts mit außerschulischen Aktivitäten wie Musik und Sport sowie internationale Angebote.

„Manche schicken ihre Kinder zu uns, weil sie die Gemeinschaft schätzen, etwa für Einzelkinder, manche aus Tradition, weil schon der Großvater bei uns war, andere aus Sicherheitsgründen. Das sind vielleicht im Ausland lebende Familien mit deutschem Hintergrund, weil sie an ihrem Wohnort kaum etwas alleine machen könnten“, so Berger. „Wir haben auch viele Eltern, die im gehobenen Management internationaler Firmen tätig sind, selbst häufig umziehen müssen und für ihre Kinder eine gewisse Stabilität wollen.“ Schulversager nehme Salem dagegen nicht auf, betont Berger.

In Salem kommen 15 Prozent der Schüler aus dem Ausland

Dem widerspricht Ulrich Lange, ehemaliger Internatsleiter im hessischen Grünberg und heute vehementer Kritiker sogenannter Eliteinternate. „Diese nehmen jeden auf, der das sehr hohe Schulgeld bezahlen kann“, betont er. „Damit finanzieren sie das Stipendienprogramm, um Musterschüler aufzunehmen, die dann ins Schaufenster gestellt werden. Um den Schwund aufzufangen, haben viele auch mit chinesischen und russischen Schülern aufgerüstet.“

In Salem kommen inzwischen 15 Prozent der Schüler aus dem Ausland, wie Karsten Schlüter vom International Office angibt: „Die größte Gruppe sind Russen, fast alle davon aus Moskau und Umgebung. Sie schätzen die Sicherheit hier in Deutschland, die saubere Umwelt und das gute Schulsystem.“ Chinesische Kinder stellten den zweitgrößten Anteil: „Enormer Fleiß und Karrieredenken lassen vielen Eltern in Asien wenig Zeit für ihre Kinder, hinzu kommt eine hohe Bildungsaffinität.“ (dpa)

Anette Le Riche

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