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Mediation: Bevor der Streit eskaliert

Der Verein "Seniorpartner in School" vermittelt bei Konflikten zwischen Schülern. Die Idee kommt aus Berlin. Aber auch in Brandenburg machen immer mehr Ehrenamtliche mit.

Die Geste sagt mehr als 1000 Worte. Katharina Scherenkow, 18, hakt sich bei Anja Böttcher, 16, ein. Das gilt an der Torhorst-Gesamtschule in Oranienburg nördlich von Berlin als kleine Sensation. Vor Kurzem haben sich die beiden noch keines Blickes gewürdigt. Und wenn, dann war es einer voller Ablehnung.

Dass die zwei Neuntklässlerinnen zueinanderfanden, ist den ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen des Vereins „Seniorpartner in School Brandenburg e.V. (SiS)“ zu verdanken. Gabriela Korn, 57, und Barbara Kühn, 60, gelang es als Mediatorinnen, die verfeindeten Mädchen an einen Tisch zu bringen. „SiS funktioniert, weil unsere Senioren als unparteiische Dritte vermitteln, bevor ein Konflikt eskaliert“, sagte der Vereinsvorsitzende Eckhard Mai bei einer SiS-Tagung in der Potsdamer Staatskanzlei. „Die Mediatoren haben anders als manche Lehrer im Stress Zeit für intensive Konfliktgespräche.“

„Die Situation mit Katharina und Anja war unerträglich“, erinnert sich Klassenlehrer Uwe Nelde. Blöde Bemerkungen beim Gang an die Tafel, abschätzige Blicke, und hinter den Jugendlichen hatte sich die übliche jeweilige Fangemeinde gegen das andere Lager verschworen. Für Außenstehende war das eine gute Show in der Schulstunde, bei den Beteiligten aber rumorte es innerlich. Verletzungen, Groll, Feindschaft.

Aber beide waren doch mal gut befreundet? „Es fing alles damit an, dass wir uns wegen einer Freundin gestritten haben“, sagt Katharina. „Und die hat dann einen Keil zwischen uns getrieben“, ergänzt Anja. Dieses Mädchen, erzählen jetzt beide, „hat alles verdreht, sich immer mehr eingemischt“: Zickenalarm. Die Mädchen, die jetzt friedlich nebeneinandersitzen, konnten und wollten früher nicht mehr miteinander reden.

„Ich erinnere mich noch bestens an unser erstes Gespräch in unserem Mediationsraum an der Schule“, sagt Barbara Kühn. Die Körpersprache war eindeutig, jede zeigte der anderen die kalte Schulter. „Sie blieben in gegenseitigen Vorwürfen hängen“, sagt Gabriela Korn, „da war noch keine Öffnung zu spüren.“ Die andere ist schuld, ich doch nicht! So ging der Pingpongball immer hin und her.

Kimme und Korn werden die beiden Seniorinnen an der Torhorst-Schule manchmal liebevoll genannt, oder „Doppelkorn“. Dass sie anders helfen können als Lehrer, zu denen sich die Schüler in einem Abhängigkeitsverhältnis befinden, weil die Pädagogen Noten vergeben, sprach sich an der Torhorst-Schule herum. Viele Jugendliche in Brandenburg haben keine Großeltern, die sich engagieren. Auch deshalb sind die Mediatoren wichtige Ansprechpartner.

Vor dreieinhalb Jahren wurde Schulleiterin Manuela Brüssow, 42, das erste Mal von den „SiS“-Helfern angesprochen, ob sich ihre Schule an dem unentgeltlichen Mediationsprogramm beteiligen möchte. Betti Bendyk, Konrektorin der Zeppelin-Grundschule in Potsdam, hat schon länger Erfahrung mit den Seniorpartnern. Anders als einige Schulleiter, die die Zuhilfenahme Schulfremder als Zeichen von Schwäche interpretieren, wollte sie lieber Schülern, Lehrern und Eltern ein zusätzliches pädagogisches Angebot machen können. „Das ist ein Gewinn für alle“, sagt Schulleiterin Bendyk. Auch die Potsdamer Karl-Förster-Grundschule, die Grundschule Gebrüder Grimm in Königs Wusterhausen oder auch die Nashorn Grundschule in Vehlefanz beteiligen sich an dem Projekt.

Derzeit sind vor allem Grundschulen offen fürs Mediationsprojekt, bilanziert die Ehrenamtliche Barbara Kühn. Insgesamt beteiligen sich in Brandenburg rund 48 Mediatorinnen und Mediatoren an 20 Schulen. SiS läuft hier seit 2006. In Berlin sind es seit 2001 bereits 147 ehrenamtliche Mediatoren an 40 Schulen, berichtet Ideengeberin und Initiatorin Christiane Richter. Das Projekt macht Schule. Auch in Brandenburg werden jetzt weitere Schulen sowie ehrenamtliche Helfer gesucht, ab 28. September beginnen neue Ausbildungskurse (s.Kasten). Mitmachen können Menschen ab 50, die Lust haben auf eine sinnvolle und verantwortliche Tätigkeit, sagt Kühn. Sie war vorher landwirtschaftlich-technische Assistentin bei einem Chemieunternehmen, kehrte von Frankfurt am Main nach Berlin zurück. „Ich surfte im Internet und fand das SiS-Projekt.“

„Wir haben gegenüber den Lehrern den Vorteil, dass wir Außenstehende sind“, sagt Kühn. Wenn ihnen Jugendliche mal „blöd kommen, können wir das leichter wegstecken“. Ihre Kollegin Gabriela Korn stammt aus Steglitz und arbeitete früher als Verfahrenstechnikerin. Jetzt ist sie wegen Erwerbsunfähigkeit in Rente. „Ich hatte anfangs Bedenken, vielleicht selbst eins auf die Mütze zu bekommen“, gibt sie zu. Weit gefehlt. Heute weiß sie, dass SiS-Helfer eine natürliche Autorität besitzen, und würde gern noch an mehr Schüler, die unter Mobbing leiden oder verhaltensauffällig sind, herankommen. Aber das ist gar nicht so leicht, weil sich nicht jeder traut und auch nicht gelernt hat, eigene Konflikte aktiv anzugehen. Schulleiterin Manuela Brüssow hingegen will ihren Schützlingen vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Für sie ist „Lehren eine Sache des Herzens“. Überall in der Schule hängen mutmachende Sprüche. Auf ihrem Tisch steht ein kleiner Zen-Garten: Ruhe bewahren.

Das taten letztlich auch Katharina und Anja. Da wollten doch diese älteren Frauen, dass sie zusammen auf einem Stück Papier ein Bild malen, was soll denn das? Da guckten sich die jungen Frauen plötzlich vielsagend an. Und zückten die Stifte. Anja zeichnete Häuser. Katharina malte ein Flugzeug. „Ich dachte doch, Anja hat das World Trade Center gezeichnet.“ Das erste Lächeln, die innere Einkehr, das lange Nachdenken, die ersten versöhnlichen Gespräche. Und nun wird sich sogar eingehakt.

Annette Kögel

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