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Im Unterricht kann die Mehrsprachigkeit von Schülern vielfältig gefördert werden.

© dpa

Mehrsprachigkeit an Berliner Schulen: Polnisch mit Mama, Persisch mit Papa, Deutsch mit der Freundin

Schulen müssen die Mehrsprachigkeit ihrer Kinder als Bereicherung anerkennen und davon wegkommen, sie als Defizit und Gefahr für das Deutsch-Lernen zu betrachten, sagen Sprachwissenschaftler.

Wenn die 13-jährige Shirin vom Evangelischen Gymnasium zu Grauen Kloster in Schmargendorf mit ihren Eltern verhandelt, ob sie auf eine Party gehen darf – dann spricht sie zuerst mit ihrer Mutter auf Polnisch. Wenn die nein sagt, fragt sie ihren Vater – auf Persisch. Dazu spricht die Berlinerin Deutsch wie eine Muttersprachlerin. Ihre drei Sprachen nützt sie, um mit Teilen ihrer Familie zu sprechen oder auch mal als „Geheimsprache“ mit ihrem Bruder. „Ich finde es ganz schön mehrsprachig zu sein“, sagt Shirin.

Schulen müssen die Mehrsprachigkeit ihrer Kinder als Bereicherung anerkennen und davon wegkommen, sie als Defizit und Gefahr für das Deutsch-Lernen zu betrachten – das sagen Sprachwissenschaftler des Zentrum für Allgemeine Sprachwissenschaft in Berlin. Gerade haben sie das Buch "Das mehrsprachige Klassenzimmer" herausgegeben, das Pädagogen in die 30 häufigsten Schülersprachen von Polnisch und Tschechisch über Romani bis Griechisch einführt und jeweils auch auf die Besonderheiten für das Deutsch-Lernen hinweist.

Im Unterricht gebe viele Möglichkeiten, Mehrsprachigkeit zu fördern und anzuerkennen, sagte Institutsdirektor Manfred Krifka – etwa Projektarbeit zum Thema Sprachen. Auch Zählen lasse sich mehrsprachig üben. Sind an einer Schule ausreichend Kinder einer Muttersprache, sollte das Fach als zweistündiges Schulfach angeboten werden, um es von der reinen Familiensprache zur Schulsprache aufzuwerten. Die mehrsprachigen Berliner Europa-Schulen mit 17 Grundschulen und 13 weiterführenden Schulen seien ein gutes Modell für die mehrsprachige Sprachförderung. Sind Erzieher im Umgang mit Mehrsprachigkeit geschult, so die Ergebnisse einer Studie mit 20 Kitas, lernen Kinder mit Muttersprache Türkisch oder Russisch auch besser Deutsch.  

Die Sprache der Gleichaltrigen spielt eine große Rolle für das Sprachlernen von Kindern, so Krifka. In Kitas und Schulen brauche es deshalb auch ausreichend Mischung mit Kindern mit Muttersprache Deutsch. Kita-Partnerschaften seien eine Möglichkeit, um der Segregation zwischen Bezirken entgegen zu wirken.   

Die Förderung mehrsprachiger Kinder wird in Berlin von Schulen am Stadtrand auf innerstädtische Schulen abgeschoben, kritisierte  Michael Wüstenberg, Schulleiter des Lessing-Gymnasiums in Wedding. Am Lessing-Gymnasium sind 75 Prozent der Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache, ein Drittel der Kinder ist von der lernmittelbefreit. Bei um die 30 Schülern pro Klasse seien die Lehrkräfte bei der Förderung mehrsprachiger Kinder im Alltag überfordert. Bei Reformen der Unterrichtgestaltung werden Kinder seiner Meinung nach zu wenig mit bedacht. Der Mathe-Unterricht sei mittlerweile viel stärker textlastig. Das stärke den Alltagsbezug von Rechenaufgaben, vergrößere aber auch die Hürden für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache.

Viele Leistungstests an Schulen seien auf einsprachige Kinder ausgerichtet, so Rosemarie Tracy, die an der Universität Mannheim zu Mehrsprachigkeit forscht. Es fehle dort an geeigneten Instrumenten, um die Kompetenzen von mehrsprachigen Kindern zu erfassen. Zudem würden Eltern zum Teil stark verunsichert, ihre Kinder mehrsprachig zu erziehen. Wobei Mehrsprachigkeit hier je nach Sprachkombination unterschiedlich bewertet werde, so Tracy. Während Englisch auch für Deutsch-Muttersprachler schon in frühem Alter als Bereicherung gesehen wird – sei an Türkisch-Kenntnisse oft die Angst geknüpft, ob sie dem Erwerb der deutschen Sprache nicht schaden.

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