zum Hauptinhalt
Frommer Wunsch? Ob die freie Schulwahl ein leeres Versprechen bleibt, ist umstritten. Wer keine Wunschschule zugewiesen bekommt, fühlt sich betrogen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Nach dem Losverfahren: Anwälte werben um Schulplatzkläger

Laut Senat werden 93 Prozent der Berliner Kinder einen Platz an ihrer Wunschschule erhalten. Für rund 1.900 angehende Siebtklässler muss aber noch eine Lösung gefunden werden. Einige unzufriedene Eltern haben sich bereits an einen Anwalt gewendet.

Es war ein Wochenende der Ungewissheit. Die meisten der rund 27 000 künftigen Siebtklässler warteten am Sonnabend wie berichtet vergeblich auf Post von ihrem bezirklichen Schulamt. Eigentlich sollten fast alle Bescheide für die Aufnahme an den weiterführenden Schulen bis Samstagnachmittag ankommen. Aus ihnen geht hervor, ob ein Kind an seiner Schule erster Wahl unterkommt – oder einen Platz an einer Schule zweiter oder dritter Wahl erhält. Doch diese Post verzögerte sich, die Briefe werden erst am Montag oder Dienstag im Postkasten sein. Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) hielt aber übers Wochenende an seinem Optimismus fest. 93 Prozent der Kinder haben danach an einer Schule erster, zweiter oder dritter Wahl einen Platz bekommen. Gleichwohl gehen einige Eltern, die schon Bescheide erhielten und unzufrieden sind, auf Konfrontation. Sie wollen die Wunschplätze für ihre Kinder einklagen.

In absoluten Zahlen sieht die Bilanz der Bildungsverwaltung so aus: Von insgesamt 26 787 Anmeldungen für Gymnasien oder Integrierte Sekundarschulen wurden 22 512 Erstwünsche erfüllt sowie 2339 Zweit- oder Drittwünsche. In nahezu 1900 Fällen konnten jedoch die Bezirke alle drei Wünsche nicht erfüllen – mit der Folge, dass den Schülern Alternativen angeboten werden. Bis zum 6. Mai können sich die betroffenen Familien auch selbst um weitere Schulen mit freien Plätzen kümmern. Danach müssen sie sich entscheiden, andernfalls wird ein Schulplatz zugewiesen. Das sei kein Problem, heißt es. „Berlinweit sind genügend Plätze vorhanden.“

Im Internet werben etliche Berliner Rechtsanwälte angesichts dieser Situation um neue Kunden. „Schulplatzklage durch einen Anwalt ist Ihr Weg zur Wunschschule“, heißt es da – verbunden mit dem Hinweis, dass „beim Auswahlverfahren erfahrungsgemäß Verfahrensfehler auftreten und in der Folge rechtswidrige Ablehnungsbescheide.“ Außerdem sei zweifelhaft, „ob die Aufnahmeregelungen mit höherrangigem Recht vereinbar sind.“ Einige Kanzleien richteten sogar am Sonntag spezielle Elternsprechstunden ein. Doch wie groß sind die Chancen, einen Wunschplatz juristisch durchzusetzen? „Das hängt stark von den Umständen des Einzelfalles ab“, sagt der Schöneberger Anwalt Olaf Werner. In seiner auf Schulrecht spezialisierten Kanzlei meldeten sich bereits am Wochenende 15 Eltern, die klagen wollen.

Einige beharren auf ihrer Traumschule, wollen auch Zweit- oder Drittwunschschulen nicht akzeptieren. Andere, denen kein Wunsch erfüllt wurde, wollen ihre Kinder „nicht irgendwo hinschicken lassen“. Vor einer Klage wird ihr Anwalt nun zuallererst fristgemäß Widerspruch gegen den Bescheid einlegen. Dazu muss sich die Behörde äußern. Lehnt sie erneut ab, beginnt der Klageweg.

Das Problem dabei: Ein solches Verfahren vor den Verwaltungsgerichten kann sich bis zu zwei Jahre hinziehen, dem Schüler wäre damit alleine also nicht geholfen. Deshalb gibt es die Möglichkeit, parallel hierzu ein „einstweiliges Rechtsschutzverfahren“, kurz, Eilverfahren, zu beantragen. Dabei müssen die Richter die Rechtslage bis zum Beginn des neuen Schuljahres vorläufig prüfen. Entscheiden sie im Sinne der Eltern, kann das Kind zunächst bis zum Abschluss des Klageverfahrens die gewünschte Schule besuchen. In der Regel zeige sich schon beim Eilverfahren, welche Chancen man bei einer Klage habe, sagt Olaf Werner. Entsprechend würden die Kontrahenten oft auf den weiteren Gerichtsweg verzichten.

Ob das vom Land 2011 erstmals angewandte neue Auswahlverfahren juristisch haltbar ist, können zur Zeit selbst erfahrene Schulrechtsexperten nicht beurteilen. Alleine der Aspekt der Chancengleichheit sei „höchst kompliziert abzuwägen“, sagt der einstige Bundesverwaltungsrichter Norbert Niehues. Aus seiner Sicht hat sich der Senat mit der neuen Regelung bemüht, „eine einigermaßen gerechte Lösung zu finden.“

Zur Startseite