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Vor einer Schulklasse zu bestehen, ist nicht leicht. Immer mehr Lehrer stellen sich dieser Aufgabe als Seiteneinsteiger ohne Pädagogikstudium.

© Symbolfoto: dpa

Nachhilfelehrer kritisiert Sprachförderung in Berlin: "Schüler scheitern an Mathe wegen schlechter Deutschkenntnisse"

Die Sprachförderung an den meisten Berliner Schulen ist gescheitert, sagt der Weddinger Politikwissenschaftler Herbert Weber, der Jugendliche in einem Nachhilfeprojekt betreut.

Herr Weber, mit welchen Problemen kommen die Kinder zu Ihnen?
Den Schülern, die bei uns zur Nachhilfe kommen, fehlen oft die Grundkenntnisse. Ich kann bei Fünftklässlern nicht unbedingt darauf bauen, dass sie einfache Schulbuchtexte oder eine Landkarte lesen können. Und das liegt zum großen Teil daran, dass ihnen die Sprache fehlt.

Aber die Jugendlichen sprechen doch deutsch.
Ja, in der mündlichen Alltagssprache kommen die Schüler auch zurecht. Aber in der Schriftsprache und in der Fachsprache haben sie Defizite. Das ist aber der Schlüssel für alle Schulfächer.

Können Sie ein Beispiel geben?
Zum Beispiel das Wort „angeben“. Das kommt in Textaufgaben oft vor: „Gebt die Werte an“. Auf dem Schulhof bedeutet das Wort aber „prahlen“. Oder ein anderes Beispiel. Ein Mädchen hatte einmal den Satz vor sich: „Die Ritter bestreiten ihren Unterhalt durch die Erträge der Landwirtschaft.“ Bei „Unterhalt“ dachte sie an Unterhaltung, bei „Erträge“ an etwas, was man erträgt. Außerdem fragte sie, warum die Ritter streiten. Der Satz ergab überhaupt keinen Sinn für sie. Und das war nur einer in einem langen Text. Das eigentlich intelligente und motivierte Mädchen scheiterte schließlich im Probejahr am Gymnasium. Aber wir können nicht immer alle Wissens- und Sprachlücken aus den vorangegangenen Schuljahren auffüllen.

Wird an den Schulen nicht genug zur Sprachförderung getan?
An einigen wenigen Schulen schon, aber in der Fläche, würde ich sagen, ist die Sprachförderung in Berlin gescheitert. Lehrerstellen für Deutsch als Zweitsprache gibt es nur auf dem Papier. Die meisten Fachlehrer haben nie gelernt, auf die Sprachprobleme der Schüler einzugehen. Viele Sprachförderstunden werden einfach zur Krankheitsvertretung zweckentfremdet. Es gibt noch nicht einmal vernünftiges Unterrichtsmaterial, um die Schulbücher verständlicher zu machen.

Was meinen Sie damit?
Ein Fünftklässler kam mal zu mir mit einer relativ einfachen Matheaufgabe. Die Ladung eines LKWs sollte berechnet werden. Das Wort LKW kannte er nicht, das Wort Ladung nur aus der Pistole. Es müsste ein Begleitheft geben, in dem der LKW abgebildet wird, dann wird die Aufgabe gleich verständlicher. Nachdem ich ihm die Aufgabe erklärt hatte, rechnete er sie sofort richtig aus. Die Kinder sind ja nicht dümmer als andere. Aber sie scheitern in Mathe wegen mangelhafter Deutschkenntnisse.

Herbert Weber, 49, Politikwissenschaftler, leitet das Nachhilfeprojekt Sprint in Wedding, das er seit 2005 aufgebaut hat.

Unsere Schulseite beim Tagesspiegel finden Sie unter www.tagesspiegel.de/schule

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