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Die Schüler der Freien Georgschule sind begeistert bei der Sache.

© Doris Spiekermann-Klaas

Neugründungen: Eine Schule für elf Kinder

Bei Schulneugründungen müssen Lehrer und Schüler oft improvisieren, dafür bleibt viel Zeit für individuelle Betreuung.

Das große Backsteingebäude in der Spandauer Seecktstraße scheint leer zu stehen. Auf dem Pausenhof ist nichts los, auch im Sekretariat ist niemand. Nur im dritten Stock ist hinter einer Tür Gemurmel zu hören. Elf Kinder sitzen in dem Zimmer und haben gerade Deutschunterricht, es sind die einzigen Kinder der Freien Georgschule. Die Schule, die nach waldorfpädagogischen Prinzipien arbeitet, nimmt gerade erst ihren Betrieb auf.

Schulleiterin Annerose Zora ist eine von drei Lehrerinnen und Lehrern, die hier im Wechsel arbeiten. Gerade ist sie selbst mit dem Unterrichten dran, muss aber zwischendurch telefonieren, um interessierten Eltern Auskunft zum Anmeldeverfahren zu geben. In der Pause geht sie mit ihrer kleinen Schülerschar noch schnell einkaufen, damit sie später gemeinsam Mittagessen kochen können. „Man muss spontan sein und sich anfangs auf viel Unvorhergesehenes einstellen“, sagt Zora. „Aber eine neue Schule aufzubauen, macht auch sehr viel Freude.“

Die Freie Georgschule ist eine Privatschule, doch Schulneugründungen sind auch im staatlichen Bereich nötig, wenn die Plätze nicht mehr ausreichen für die Anzahl der Kinder im Bezirk. Ausgehend von den Prognosen über die Entwicklung der Schülerzahlen initiiert und finanziert der Bezirk dann die Schulgründung. In diesem Jahr wurde nur eine einzige staatliche Schule in Berlin neu eröffnet, die 47. Schule in der Mendelstraße in Niederschönhausen. Die Grundschule teilt sich das Gebäude mit der bereits bestehenden Schule an der Strauchwiese, einer Sprachförderschule. Die beiden Schulen haben dieselbe Leiterin, und auch das Lehrerkollegium arbeitet eng zusammen. Rund 150 Kinder besuchen die neue Grundschule bereits, weil ein ganzer Zweig von Klasse eins bis sechs von einer anderen Grundschule an die 47. Schule gewechselt ist.

Im Bereich der freien Schulen gibt es dagegen entweder Investoren, die an einem bestimmten Konzept interessiert sind, oder Lehrer, Schulleiter und Eltern gründen selbst – häufig ohne sonderlich viel Startkapital.

Die Freie Georgschule wurde ins Leben gerufen, weil Schulleiterin Zora mit der Atmosphäre an ihrer alten Schule unglücklich war. Gemeinsam mit einer Kollegin und Christoph Huhn, der bereits an mehreren Waldorfgründungen beteiligt war und nun ehrenamtlicher Geschäftsführer der Schule ist, erarbeitete sie im Sommer 2010 ein erstes Konzept.

„Danach haben wir geschaut: Wo ist ein weißer Fleck in Berlin, was Waldorfpädagogik angeht“, sagt Huhn. Es sollte ein Ort sein, an dem bildungsorientierte Familien leben, der aber auch in der Nähe schwieriger Kieze liegt, um eine ausgewogene soziale Mischung zu erreichen. Die Wahl fiel auf Spandau, los ging es mit einem Aushang in einem Kindergarten mit Waldorfpädagogik.

15 Eltern kamen zu einem ersten Treffen, erzählt Huhn, fünf Mütter und Väter blieben schließlich und bildeten Arbeitsgruppen. Ein Gebäude musste gefunden werden und Lehrer. Die Genehmigung musste beantragt, Kontakt mit dem Schulamt aufgenommen und ein Finanzierungsplan ausgearbeitet werden. Schließlich wurde mit Hilfe des Bezirks das Gebäude der früheren Kinkel-Oberschule gefunden, in viel Eigenarbeit wurde ein kleiner Teil renoviert. Nun gibt es ein Klassenzimmer, eine Küche, einen Hortbereich und das Sekretariat.

Mit sieben Schülern ging es im Oktober 2011 los. Es herrschte „Aufbruchstimmung“, sagt Huhn. Die Beteiligten hätten für sehr wenige Schüler sehr viel Zeit, dafür müsse man häufig improvisieren. Kinder, die an anderen Schulen gescheitert sind, könnten in kleinem Rahmen ganz anders aufgefangen werden.

Etwa im dritten Jahr, sagt Huhn, gehe man davon aus, dass eine Schule organisatorisch stehe – auch von finanzieller Seite. Bislang ist das eher schwierig: Ein Schüler koste pro Monat rund 300 Euro, sagt Huhn. Das Schulgeld liegt je nach Einkommen allerdings nur zwischen 50 und 130 Euro. Hinzu kommen Spenden und die Bereitschaft der Mitarbeiter, sich „bis zur Selbstausbeutung“ zu engagieren. Erst nach fünf Jahren kommen auch öffentliche Gelder dazu. Wie viele Stunden sie seit der Eröffnung der Schule arbeitet, sagt Zora, zähle sie nicht einmal. Trotzdem sei sie mit Begeisterung bei der Sache: „Wir bauen nach unseren eigenen Vorstellungen etwas auf für die Zukunft.“

Das sieht auch Stefan Gander so, pädagogischer Leiter der Freien Schule Anne Sophie in der Zehlendorfer Clayallee, die von der gemeinnützigen Stiftung Würth unterstützt wird. Hier steht ein außergewöhnliches pädagogisches Konzept im Mittelpunkt, das Gander schon an der Partnerschule Anne Sophie in Künzelsau umsetzte. Die Schule heißt nicht Schule, sondern Lernhaus. Lehrer werden zu Lernbegleitern, Schüler zu Lernpartnern. Nach 30-minütigem Input, in dem, wie Gander sagt, „die Lernbegleiter ihre Faszination für ein Thema erläutern“, arbeitet jeder Lernpartner eigenständig am Stoff.

Und weil die Pädagogen davon ausgehen, dass die Umgebung das Verhalten bestimmt, haben jeder Schüler und jeder Lehrer einen eigenen Platz, ein eigenes Postfach, einen Schlüssel zur Schule. Auch der Unterricht stellt sich anders dar als üblich: Für die halbe Stunde Input stehen die bislang neun Schüler der achten und neunten Klasse – andere Klassen gibt es noch nicht – gemeinsam mit ihrer Lehrerin um einen orangenen Tisch. Im Stehen, sagt Gander, werde effizienter, aktiver und aufnahmefähiger gelernt. Das scheint sich zu bestätigen: Alle Schüler beteiligen sich rege, bevor sie zum Vertiefen des Gelernten an ihre eigenen Arbeitsplätze gehen.

Entstanden ist die Freie Schule Anne Sophie in Berlin, weil es das Vorbild der Partnerschule in Künzelsau gibt: Berliner Eltern, die die Schule in Baden-Württemberg kannten, kamen auf die Stiftung zu. Weil es bereits ein Vorbild gibt, ist vieles einfacher. So hospitieren zum Beispiel die Lehrer in Württemberg, um sich auf ein anderes Unterrichten als an staatlichen Schulen einzustellen.

Für das junge Team gibt es jede Menge Gestaltungsspielraum. Englischlehrerin Simran Sandhu etwa baut die Bibliothek mit auf, gerade erst wurde die Ausstattung für die Bio- und Chemieräume ausgesucht. Und auch die Schüler selbst werden immer wieder nach ihrer Meinung gefragt: „Sie sind die Pioniere und werden später Rollenvorbilder für die Neuen sein“, sagt Sandhu. Die finden sich bislang hauptsächlich über Mundpropaganda. Erst nach dem Sommer, wenn die Räumlichkeiten besser ausgebaut sind, soll die Öffentlichkeitsarbeit verstärkt werden.

Die Schüler selbst schätzen die Lernbedingungen trotz einiger Provisorien: „Es ist fast wie Einzelunterricht“, sagt die 16 Jahre alte Shirin. Man hocke zwar ziemlich dicht aufeinander – aber da sie ihre Mitschüler mag, sei das kein Problem.

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