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Junge Frauen setzen sich bei dem Workshop der "Digital Angels" auch damit auseinander, wo Gewalt für sie anfängt und was sie verletzt.

© FCZB

Projekt zur digitalen Selbstverteidigung: Mit Girlpower gegen Gewalt im Netz

Mädchen und junge Frauen trainieren digitale Selbstverteidigung im Kreuzberger Frauencomputerzentrum.

Beim Wort Gewalt denken viele zunächst an körperliche Übergriffe. Doch auch in digitalen Räumen existiert Gewalt in vielfältigen Formen – oft begünstigt durch die Möglichkeit der Anonymität im Internet. Das Frauencomputerzentrum Berlin (FCZB) hat speziell für junge Mädchen und Frauen das Projekt „Digital Angels“ entwickelt, bei dem sich die Jugendlichen austauschen und gemeinsam digitale Selbstverteidigung üben können.

Oft ist Betroffenen nicht klar, wo Gewalt anfängt

Auf dem Instagram-Profil „digitalangels_fczb“ sind bunte Kacheln mit Aufschriften wie „Schärfe deine digitalen Sinne“, „Gewalt hat viele Gesichter“ oder „digitale Gewalt ist strafbar“ zu lesen. Die Social-Media-Posts geben Einblicke in die Workshop-Reihe „Digital Angels“.

„Wir schauen uns mit den Mädchen an, was sie schon erlebt haben“, sagt Projektleiterin Maria Fischer. Oft sei vielen Betroffenen gar nicht klar, wo Gewalt für sie anfängt und was sie verletzt. So wurden einige 16- bis 18-Jährige für eine Feedback-Runde in den FCZB in die Cuvrystraße eingeladen und gefragt, ob sie schon mal digitale Gewalt erlebt haben. „Nein“, lautete die Antwort. Ob ihnen schon mal ungefragt „Dickpics“ aufs Smartphone oder in sozialen Netzwerken geschickt wurden? „Ja, das schon!“

„Dickpic“ ist der englische Begriff für Penisbilder. Ungefragt solche Bilder zu verschicken ist eine Straftat. Auch auf einer der Instagram-Kacheln des Projekts geht es um das Thema. Die Kachel klärt über die rechtliche Situation auf, viele Betroffene und Täter wüssten darüber nicht Bescheid. Deshalb fänden sich solche Taten kaum in der Kriminalstatistik, heißt es auf dem „Digital Angels“-Account.

Der Tipp zur Selbstverteidigung: „Lass deinen Ärger raus und sag dem Versender, wie unangebracht sein Verhalten ist.“ Außerdem wird erklärt, wie Betroffene Beweismaterial sammeln können. „Leite Bilder nicht weiter. Der Quellcode verändert sich. Mache Screenshots!“, lautet die Empfehlung. Auf dem Instagram-Kanal gibt es viele solcher Tipps, er wird ehrenamtlich von Catharina Bruns gepflegt.

Durch Corona ist das Thema aktueller denn je

Das Projekt zur digitalen Selbstverteidigung begann im Mai 2021 mit mobilen Workshops im Café Pink in Schöneberg, in der Kreuzberger Kinder- und Jugendkunstschule Frixberg und im Oberstufenzentrum Hans-Litten-Schule in Charlottenburg. Besonders im Oberstufenzentrum sei die Nachfrage groß gewesen – über 20 Jugendliche wollten mitmachen.

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Durch die coronabedingt geschlossenen Schulen sei das Thema aktueller denn je. „Wir sehen einen sehr großen Bedarf, der Ton im Internet ist sehr rau und frauenfeindlich“, sagt FCZB-Geschäftsführerin Karin Reichel. Bei einem Netzwerk-Treffen hatten jüngere Frauen die Idee, mit dem Thema digitale Gewalt nicht erst bei Erwachsenen, sondern viel früher – spätestens in der 10. Klasse – anzusetzen.

Es bestünde die Fehlannahme, „Digital Natives“ – also Menschen, die mit dem Internet aufgewachsen sind – seien automatisch digital mündig. „Oft sind sie sich der Tragweite ihres Handelns nicht bewusst und geben Daten zu ihrem Nachteil von sich selbst preis“, sagt Reichel. Das liege auch daran, dass diese Fragen in der Schule zu kurz kämen.

Digitale Gewalt sei zudem ein schambesetztes Thema, für das „Safe Spaces“ geschaffen werden müssen – sichere Räume zur offenen Diskussion mit Vertrauenspersonen. Einen solchen Raum bieten die Workshops der „Digital Angels“.

Ende August gingen sie am Kreuzberger Hermann-Hesse-Gymnasium in eine neue Runde: Zwölf Teilnehmer:innen (15 bis 17 Jahre alt) sollen in wöchentlichen Workshops als „Medienscouts“ ausgebildet werden. Das heißt, dass sie im Idealfall nach der Ausbildung als Multiplikator:innen anderen Jugendlichen zeigen, wie digitale Selbstverteidigung geht.

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Und wie geht das? „Wir beschäftigen uns mit verschiedenen Phänomenen der digitalen Gewalt“, sagt Maria Fischer. Die Projektleiterin zählt einige auf: das missbräuchliche Verbreiten von Bildern, Fotos und Videos mit sexualisierten Inhalten („Sexting“), fiese Kommentare und Hass („Hate Speech“) oder Belästigung und Nötigung im Netz („Cybermobbing“).

Doch es geht nicht nur um das Problem digitale Gewalt, sondern vorrangig um die Entwicklung von Lösungen in konkreten Situationen. Digitale Gewalt ist ein schwieriger Begriff, der von vielen Jugendlichen und selbst von Erwachsenen gar nicht als solche erfasst wird. Meist ziehen sich Betroffene aus digitalen Räumen wie sozialen Netzwerken zurück.

Bei den Freiwilligentagen macht das Team mit

Die Schülerinnen des Kreuzberger Gymnasiums seien mit viel Begeisterung dabei, berichtet die Projektleiterin nach dem ersten Workshop-Termin. Ihre Motivation sei auch die „volle Girlpower“, das bedeutet, dass sie es „besonders toll finden, dass das Projekt nur für Mädchen ist“. Als es um Wünsche an die Gruppe und das Projekt ging, musste keine Teilnehmerin lange überlegen. „Alle griffen sofort zu Papier und Stift und waren aktiv dabei“, sagt Fischer.

Anlässlich der Freiwilligentage „Gemeinsame Sache“ (10. bis 19. September) sammelt das Digital-Angels-Team weitere Ideen zu den Themen Datenschutz, Fake News, Bildrechte im Netz oder Cybermobbing für den Instagram-Account, der sich an Jugendliche richtet. Auch Fragen oder Erfahrungen können mitgeteilt werden – als Direktnachricht an den Instagram-Kanal (@digitalangels_fczb) oder per Mail (fischer@fczb.de).

Aktionslink: gemeinsamesache.berlin/aktion/digitale-selbstverteidigung-tipps-tricks

Projektwebseite: www.fczb.de/digitalangels-projektstart

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