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Mildred Harnack. Eine Aufnahme aus dem Jahr 1926.

© Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Schulprojekt zu Mildred Harnack: Ihr Weg des Widerstands

Mildred Harnack war Amerikanerin, Lehrerin und Mitglied der Roten Kapelle. Die Nazis richteten sie hin. Jetzt haben Schüler ihrer ehemaligen Berliner Schule und Studierende ein Buch über sie geschrieben.

Als die US-Amerikanerin Mildred Harnack 1929 nach Deutschland zog, tat sie das aus Liebe. Aus Liebe zur deutschen Literatur und aus Liebe zu ihrem deutschen Mann Arvid Harnack, den sie an der Universität in Wisconsin kennengelernt hatte. 14 Jahre später musste Mildred Harnack diese Entscheidung mit ihrem Leben bezahlen: Als Mitglied der Berliner Oppositionsgruppe, der die Nationalsozialisten den Namen „Rote Kapelle“ gegeben haben, wurde sie in Plötzensee ermordet. Sie ist die einzige amerikanische Zivilistin, die von den Nazis hingerichtet wurde. Ihre letzten Worte, bevor sie am 16. Februar 1943 guillotiniert wurde, waren: „Und ich habe Deutschland so geliebt.“

Mildred Harnack unterrichtete am Berliner Abendgymnasium

Die Geschichte von Mildred Harnack ist eng mit der Geschichte der Berliner Peter-A.-Silbermann-Schule verbunden, deren Standort inzwischen in Wilmersdorf ist. Die Schule war 1927 als erstes Abendgymnasium für Erwachsene in Deutschland von Peter A. Silbermann gegründet worden, sie hieß damals „Berliner Abendgymnasium“ – und dort unterrichtete Mildred Harnack bis 1936 als Lehrerin. Mehrere ihrer Schüler zählten zu ihrem Freundeskreis und fanden über sie ebenfalls den Weg zu der Widerstandsgruppe.

Schüler und Studierende erforschen die Geschichte

Jetzt haben Hörerinnen und Hörer der Silbermann-Schule – so werden die erwachsenen Schüler dort genannt – gemeinsam mit Studierenden der Universität Potsdam die Geschichte von Mildred Harnack und ihren Mitstreitern erforscht und ein Buch darüber geschrieben. Der Band „Mildred Harnack und die Rote Kapelle in Berlin“ ist pünktlich zum 90. Jubiläum des Gymnasiums erschienen, das die Schule in der vergangenen Woche gefeiert hat.

In nur einem halben Jahr hat es die Gruppe von 26 Hörern und Studierenden unter der Leitung von Ingo Juchler, Professor für Politische Bildung in Potsdam, geschafft, Biografien von Mildred Harnack und ihren Schülern Karl Behrens und Bodo Schlösinger zu schreiben und einen Überblick über den Widerstand in Deutschland und die Geschichte der Roten Kapelle zu verfassen. Sie suchten in Archiven, forschten in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und trafen sich mit Zeitzeugen, unter anderem mit Peter Behrens und Hans Coppi, den Söhnen der ebenfalls hingerichteten Rote-Kapelle-Mitglieder Karl Behrens und Hans und Hilde Coppi.

Rund 150 Personen gehörten zu der Oppositionsgruppe

Bis zu 150 Mitglieder umfasste der Oppositionskreis der Roten Kapelle, er bestand aus mehreren Freundeskreisen, die sich vor allem um das Ehepaar Harnack und das Ehepaar Harro und Libertas Schulze-Boysen zusammenfanden. Zu diesen Freundeskreisen gehörten Personen ganz unterschiedlicher sozialer Herkunft – Arbeiter, Angestellte, Studenten, Schüler, Intellektuelle, Unternehmer. Sie hatten eines gemeinsam: Sie waren Gegner des Nazi-Regimes.

Der Widerstand entwickelte sich nach und nach bei den privaten Treffen: Man diskutierte über Literatur und Kunst, dann mehr und mehr über Politik und über Möglichkeiten, wie man Verfolgten helfen konnte und wie man Informationen über die Verbrechen und Vorhaben der Nazis verbreiten konnte.

Arvid Harnack arbeitete im Reichswirtschaftsministerium, Harro Schulze-Boysen im Luftfahrtministerium. Sie gaben Informationen, an die sie im Rahmen ihrer Arbeit gelangten, an die amerikanische und die sowjetische Botschaft weiter. Mildred Harnack hatte ihrerseits Kontakte zur amerikanischen Botschaft und versorgte ihre Schüler mit Informationen, unter anderem mit Reden von Franklin D. Roosevelt und Darstellungen über den Spanischen Bürgerkrieg. 1942 fing die Gestapo einen Funkspruch der Gruppe ab. Danach wurden zahlreiche Mitglieder des Zirkels verhaftet, 49 Personen hingerichtet.

All diese Informationen und noch viel mehr – etwa über die Rolle, die Frauen in der Gruppe hatten und über den Widerstand von Jugendlichen, haben die Potsdamer Studierenden und die Hörer der Silbermann-Schule zusammengetragen.

Schulen arbeiten Vergangenheit auf

Das Buch ist ein weiteres eindrucksvolles Beispiel dafür, wie fruchtbar es sein kann, wenn sich Schulen mit der eigenen Vergangenheit in der NS-Zeit beschäftigen. Viele Schulen arbeiten mittlerweile in AGs, Projekten und im Geschichtsunterricht auf, was in ihren Gebäuden und mit ehemaligen Schülern und Lehrern passiert ist. Die Schulen machen die Erfahrung, dass sie ihre Schüler auf diese Art direkter und nachhaltiger erreichen als durch theoretischen Unterricht.

Die Leiterin der Silbermann-Schule, Christiane Grüner, war deshalb auch gleich begeistert, als Ingo Juchler, der sich mit der Vermittlung von Politischer Bildung beschäftigt und über Amerikaner in Berlin geforscht hat, mit seiner Idee zu Mildred Harnack auf sie zukam.

„Das Projekt war sehr intensiv und sehr ambitioniert“, sagt Juchler. Neben der aufwendigen Quellenarbeit galt es auch, bei der Arbeit zwei Gruppen zusammenzubringen, die ganz unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen. Denn während die Studierenden das wissenschaftliche Arbeiten gewohnt sind, ist das bei den Hörerinnen und Hörern der Silbermann-Schule nicht unbedingt der Fall.

Abends fürs Abitur lernen, tagsüber arbeiten

Die meisten ihrer Hörer „kommen nicht aus einem akademischen Kontext“, sagt Schulleiterin Christiane Grüner, die gemeinsam mit dem Lehrer Mehmet Yigit das Projekt mitbetreut hat. Viele ihrer rund 130 Hörer haben jahrelang etwas ganz anderes als Schule gemacht, und während sie nun abends für das Abitur lernen, arbeiten sie tagsüber in ihren Berufen. Grüner erzählt, wie beeindruckend es gewesen sei, dass die Gruppe neben der Schule und dem Beruf auch noch Zeit für die intensive Arbeit am Mildred-Harnack-Buch aufgebracht hat. Auch beim Alter gab es Differenzen: Die Studierenden sind Anfang zwanzig, die Hörer der Silbermann-Schule sind älter – auch eine 60-jährige Hörerin hat beim Harnack-Buch mitgeschrieben.

Der 28-jährige Mohamed Chahrour war ebenfalls dabei. „Wir haben uns angestrengt, wir wollten die Schule und die Studierenden stolz machen“, erzählt er und strahlt dabei über das ganze Gesicht. „Es war so schön, als ich das Buch wirklich in den Händen halten konnte und da mein Name drin stand.“ Chahrour macht im nächsten Jahr sein Abitur und arbeitet bei einem Pizza-Dienst. Elf Jahre lagen zwischen seinem letzten Schultag nach der zehnten Klasse und seinem Beginn an der Silbermann-Schule. Nach mehreren Jahren Berufstätigkeit habe er gemerkt, dass er mehr erreichen will.

„Der Einstieg war schwer, weil alles so eingerostet war, aber die Lehrer haben mir sehr geholfen“, sagt er. Und jetzt kann er gar nicht genug kriegen. Nach dem Abitur will er studieren, Fahrzeugtechnik oder Biotechnologie. „Bildung finde ich einfach schön“, sagt er. Nicht zuletzt die Mitarbeit am Mildred-Harnack-Buch hat ihn darin bestärkt.

Das Buch „Mildred Harnack und die Rote Kapelle in Berlin“, hrsg. v. Ingo Juchler, ist im Universitätsverlag Potsdam 2017 erschienen.

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