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Schule: Stock und Stein und Schwerenot

Der Tagesspiegel und der ADAC hatten zehn Offroad-Einsteiger zum Fahrtraining eingeladen – eine Leserin beschreibt, was sie in Linthe erlebt hat

Sie könnten ja, wenn sie wollten. Aber sie wollen gar nicht, die meisten Geländewagenbesitzer. Deren Angst, der Lack könne einen Kratzer oder die Ölwanne einen empfindlichen Schlag bekommen, der Steinschlag könne auf die Windschutzscheibe niederprasseln, diese Angst steigt proportional mit dem Wert des Fahrzeugs. Und deswegen bleiben sie lieber auf unseren fein asphaltierten Straßen und fern der wilden Pisten. Aber wenn sie wollten…

Meine Vorstellung vom Querfeldeinfahren sind – zugegeben – nicht besonders ausgereift, als ich mit neun weiteren Tagesspiegel-Lesern auf dem ADAC- Übungsgelände in Linthe antrete, um unseren Gewinn einzulösen; ein Off- road-Training für Einsteiger! Abenteuer, Freiheit, Draufgängertum in Brandenburg – ich bin dabei!

Zunächst aber wird mein Feuereifer gebremst. Zum Tagesstart gibt uns der Trainer den ersten Glaubenssatz mit auf die Strecke: „So schnell wie möglich, so langsam wie nötig.“ Aha – hier ist also kontrolliertes Fahren erwünscht. Aber irgendwie steht das in einem merkwürdigen Widerspruch zu seiner nächsten Aussage, die mir beinahe wie eine Verheißung klingt: Vielleicht könne heute auch mal ein Auto umkippen. Nicht alle Augen der zehn Teilnehmer leuchten dabei ...

Zwei Fahrer bilden ein Team, die Landrover werden von Brit Cars in Teltow gestellt. Zuerst geht es auf die asphaltierte Strecke zum Aufwärmen – „Onroad“. Brems- und Ausweichmanöver zu bewältigen, sind eine gute Möglichkeit, das fremde Fahrzeug und den Partner kennen zu lernen. Offroadfahren ist nichts für Lonesome-Rider. Im Gelände wird das klar, denn hier geht solo nichts. Über unbekanntes Geläuf geht es die erste Runde zu Fuß. Wie fährt man die Ideallinie, wie kommt das Fahrzeug heil durch die hüfttiefen Kuhlen? Beherrschbare Lösungen zu diskutieren braucht seine Zeit – eine ordentliche Geduldsübung, weil man natürlich umherschaut und im wahrsten Sinne er-fahren will, was dieser Mikrokosmos bietet: Tiefe Grubenketten im märkischen Sand, Geröllpisten, Schrägfahrten am Hang, eine Dschungelbrücke, Gräben und, das ist die optische Krönung, ein nachgebautes Flussbett mit Wasserfall.

„Offroad heißt immer Fahren im Grenzbereich. Ein kleiner Fahrfehler kann zu einer großen Katastrophe führen“, sagt der Trainer eindrücklich, bevor er uns, ausgerüstet mit Sprechfunkgeräten, auf den Parcours schickt.

Munter hinein also in die erste Sandgrube. Die Hinterräder drehen wütend Löcher in den Sand. Vorne rechts hebt sich das Fahrzeug mit dem Rad in die Luft – fühlt sich an wie ein verzweifelter Befreiungsversuch des Fahrgeräts aus misslicher Lage. Als sich zusätzlich nun auch noch das linke Hinterrad anhebt, halte ich die Luft an. Gott, der Landrover fährt tatsächlich auf zwei Rädern, um nach einem Moment der Spannung sanft schaukelnd nach vorne zu kippen. Glücklicherweise ist mein Magen sehr robust und der Auspuff gut geschützt.

Die nächste Übung ist eine echte Herausforderung, denn ich leide unter Flugangst. Als wir versuchen, eine 35 Grad steile Piste nicht nur in Hangschräglage zu befahren, sondern den Wagen frontal zum Klettern zu bringen – sozusagen auf der Direttissima – schaue ich direkt in die Baumwipfel über mir. „So sitzt man wahrscheinlich in einem Spaceshuttle“, vermutet mein Beifahrer. Hallo Adrenalin!

Dankbar, dass ich den Rat des Übungsleiters befolgt und am Morgen meine Rückenlehne sehr steil eingestellt habe, wächst mein Respekt vor dieser Autotechnik, die mit ausgeklügelter Elektronik das und noch viel mehr möglich macht. Wo sind die Grenzen von Fahrzeug und Fahrer? Das hier ist die perfekte Spielwiese für uns Große – wo sonst hätte ich den Mut, Indiana Jones nachzueifern und das laue Gefühl im Bauch einfach links liegen zu lassen? Soll ich wirklich rüber über diesen drei Meter tiefen Graben? Nur über die zusammengelegten Baumstämme? Ich konzentriere mich bis zum Gehtnichtmehr, lausche den Anweisungen meines Partners , zwinge mich, ruhig und vernünftig zu atmen. Ich wollte ihn doch spüren, den Hauch des Abenteuers! Nun gut, Fuß und Gaspedal kommen sich gaaanz langsam näher, Zentimeter für Zentimeter schleiche ich am Abgrund entlang. Mit Erfolg – und so viel gewonnenem Selbstverständnis, dass ich das Flussbett nebenan durchwedle, als hätte ich nie etwas anderes gefahren als diesen Landrover.

Im wahren Autoleben schaut’s anders aus. Im Alltag bewege ich eine kreuzbrave Limousine durch Berlin. Wie die meisten anderen Teilnehmer des Trainings habe ich immer wieder mal daran gedacht, mir einen Geländewagen zuzulegen. Aber dann hatte es letztlich doch immer an der Traute gefehlt. Bis jetzt. Jetzt nämlich weiß ich’s. Ich bin reif fürs Gelände.

Marlies Martins

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