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Viertklässler an der Süd-Grundschule in Zehlendorf testen Milch- und Sojajoghurt.

© Thilo Rückeis

Verbraucherbildung in der Schule: Von Kühen und Menschen

Wie man Kinder zu kritischen Verbrauchern erzieht: Zu Besuch in einer Unterrichtsstunde über Milch und ihre Erzeuger.

Das kommt natürlich auch vor, dass die Schüler nicht ahnen, was Kühe und Pizza miteinander zu tun haben könnten, aber nicht in dieser Klasse. Die 4a der Zehlendorfer Süd-Grundschule ist bestens informiert. Wo überall Milch drin ist?

– Joghurt! Pudding! Käse!

Und wo die Milch herkommt? –

Aus der Kuh! Ziege! Schaf!

Wer schon mal eine Kuh gesehen hat? Alle Finger fliegen in die Luft.

So richtig auf einem Bauernhof? Die Finger bleiben oben, einer schreit, dass Kühe in Indien heilig seien, aber heimlich geschlachtet würden. Ein nächster, dass er Kühe nicht möge, weil er Milch nicht vertrage. „Massenhaltung!“, ruft ein anderer, „die sehen ihr Kalb einen Tag, dann kommen sie nach drei Jahren wieder und erkennen sich nicht mehr!“ Nun greift Frauke Däuble, Mitte 30, kurze Strubbelhaare, ein. Ganz so stimmt das ja auch nicht. Aber diese Klasse sei ja wohl ziemlich schlau, oder? Ja, da nicken die 24 Viertklässler, die im Kreis auf ihren kleinen Grundschulkinderstühlen hocken, zufrieden, das sei wohl so.

Verbraucherbildung steht im neuen Rahmenlehrplan

Frauke Däuble ist die Tierschutzpädagogin der Berliner Welttierschutzgesellschaft und hat das Lernset „Kuh plus Du“ mitgebracht. Eins von ungezählten Angeboten, die Tier-, Umwelt- und Verbraucherschutzvereine Schulen und Lehrern machen, die das Bewusstsein der Kinder für die vielschichtigen Zusammenhänge der modernen Warenwelt schulen wollen. Verbraucherbildung ist ein Thema, das mit der Rahmenlehrplanreform ab 2017/18 auch in Berlins Unterrichtspläne einziehen wird. Nötig ist das, weil bereits die Kleinen für Marketingstrategen interessant sind und mit Werbung geködert werden. Direkt als Taschengeldbesitzer, aber auch indirekt, weil sie in ihren Familien ein Mitspracherecht haben, sei es beim Urlaubsziel oder am Kühlregal. Laut der „Kidsverbraucheranalyse“ von 2015 dürfen 78 Prozent der Sechs- bis 13-Jährigen bei Lebensmitteleinkäufen für den Haushalt mitentscheiden.

Um ein solches, ganz alltägliches Produkt geht es jetzt eine Doppelstunde lang bei Frauke Däuble: die Milch, ihre Erzeugung und das Leben der Milchkühe.

Die Schüler bekommen dabei einiges zu tun. Sie sollen aus einem großen Schwung von Hochglanzbildern mit Kuh-, Stall- und Weidemotiven jene zusammensuchen, die miteinander zu tun haben, Texte vorlesen, die zu den Bildern gehören, und immer wieder auch erzählen, was sie selbst wissen. Da ist diese Klasse ganz weit vorn, weil in ihrer Mitte ein Zwillingspärchen sitzt, dessen Vater eine Cousine hat, die auf einem Bauernhof mit 35 Kühen arbeitet, so erzählen sie, wo sie seit Jahren ihre Ferien verbringen. Melkroboter, Kuhbürsten, ausgebrannte Hornsätze, Hochleistungsfutter, nichts ist neu für die zwei Jungs, und Nachfragen der Tierschutzpädagogin beantworten sie selbstbewusst. Die Hörner abbrennen ohne Betäubung? Klar, sonst wird das für den Bauern zu teuer. Kraftfutter? „Damit sie eben mehr Milch geben!“, sagt der eine, „Milch für den verkäuflichen Zweck!“, assistiert der Bruder. Frage an alle: Wie würdet ihr das finden, wenn ihr selbst ein ganzes Leben in eurem Zimmer verbringen müsstet und nie rausdürftet an die frische Luft? Antwort: „Dann würde ich mein Fenster aufmachen und lüften.“

Dann kommt das Highlight: der Milch-Soja-Test

Die Lehrerin, die sich im Hintergrund hält, lacht verstohlen vor sich hin. Aber Frauke Däuble lässt sich nicht beirren. Sie will den Kindern, ohne sie zu erschrecken, klarmachen, was es heute heißt, eine der rund vier Millionen Milchkühe in Deutschland zu sein: Mehr als 70 Prozent von ihnen sind auf engem Raum eingesperrt, sie liegen auf Betonspaltenböden, kommen kaum raus, werden mit Hochleistungsfutter gemästet, das ihrem empfindlichen Mehrmagensystem nicht gut bekommt. Viele Milchkühe sind mit fünf Jahren so ausgelaugt und körperlich am Ende, dass sie geschlachtet werden. Eine ordentlich behandelte Kuh wird dagegen problemlos 20. Wenn nun also Kühe so wenig schön leben, nur um den Milchbedarf der Verbraucher zu stillen, vielleicht könnten die Verbraucher einfach ein bisschen weniger Milch konsumieren und so ebenfalls zur Lebensverbesserung der Kühe beitragen, sagt Frauke Däuble. Oder?

Und damit kommt sie zum Highlight des „Kuh plus Du“-Programms: der Geschmackstest mit verbundenen Augen. Zwei Kinder – „ich“, „ich“, kreischen da alle – dürfen sich an einen Tisch setzen und bekommen eine Augenmaske übergezogen. Zwei andere füllen in vier kleine Plastikbecher Kuhmilch, Sojamilch, Milchjoghurt und Sojajoghurt. Soja als kuhschonende Alternative, das ist die Idee. Die Tester probieren, ohne zu sehen, und sollen dann sagen, wo Milch drin ist und wo nicht.

„Ruhe jetzt!“, ruft Frauke Däuble.

Ein Mädchen greift zum Sojamilchbecher, es herrscht gespannte Stille, sie führt den Becher zum Mund und ruft sogleich „Ih!“ Das sei Sojamilch, das könne sie riechen. Die anderen applaudieren. Dem zweiten Tester fällt die Unterscheidung genauso leicht. Bei den Heidelbeerjoghurts ist es nicht mehr so eindeutig, ist das nun Soja oder Kuhmilch? Bei der zweiten Testrunde irrt sich ein Proband in seinem Urteil, Soja, sagt er, dabei ist es Milch, aber da passen die anderen schon nicht mehr auf, die Spannung ist dahin.

Was kostet der Liter?

Während die Lehrerin die übrig gebliebenen Joghurts in 24 Plastikbecher verteilt, verteilt Frauke Däuble die letzten Karten ihres Lernsets auf dem Boden, es sind Bilder von Produkten. Anonymisiert, dass es keine Produktreklame ist, aber die Logos sind zu sehen. Und zu denen gibt es noch Infokärtchen. Welches Logo für gute Kuhhaltung steht, erfahren die Kinder, vor allen anderen „Demeter“, und welche Produkte sich um Kuhhaltung überhaupt nicht scheren: die ohne Logo. Also, was würde man kaufen, wenn man sich um das Kuhwohl schert? Demeter, na klar! Die damit verbundenen Mehrausgaben sind dabei kein Thema. Ein Mädchen weist auf ein Milchtütenbild ohne Logo, aber mit Kuh-auf-Weide-Zeichnung drauf. Die gemalte Idylle habe nichts zu sagen: „Das ist nur Reklame.“

Kurz vor Schluss holt Frauke Däuble sich ein Resümee von den Kindern. Was ihnen neu war? Dass die Kälber schon nach vier Stunden von der Mutterkuh getrennt werden! Dass Kühe so viel Milch geben! Bis zu 50 Liter am Tag! Und dass sie so viel Wasser trinken, 100 Liter! Dass die Hörner weggebrannt werden! Dass man männliche Kühe gar nicht gebrauchen kann! Und sonst fanden alle die Stunde toll. Und die Lehrerin? „Wenn es den Kindern gefällt, gefällt es mir auch.“ Eine salomonische Antwort.

Und zum Thema Milchpreis noch mal schnell rumgefragt unter den Schülern: Was kostet denn so ein Liter? Milena sagt: „Zwischen 50 Cent und einem Euro 50. Wir kaufen immer die für 1,50.“ Und zwar jetzt erst recht.

Wo Lehrer Unterrichtsmaterial finden

Das Lernset „Kuh plus Du“ ist selbsterklärend und kann von Lehrern auch ohne Hilfe allein angewandt werden. Es richtet sich an Schüler der Klassen vier bis sechs. Zu bestellen (für 19 Euro) ist es unter www.kuhplusdu.de.

Außerdem veranstaltet das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft 2016 einen bundesweiten Schülerwettbewerb zum Thema Tierwohl. Mehr Infos unter www.echtkuh-l.de. Das Ministerium betreibt zudem die Internetseite „Durchblicker“, die sich mit Verbraucherthemen an Kinder zwischen 8 und 14 Jahren richtet: www.bmel-durchblicker.de.

Die Verbraucherzentrale bietet im Internet ein Schulportal, auf dem Lehrer Unterrichts- und Projektvorschläge finden. Mit dem „Materialkompass Verbraucherbildung“ können sie fächerbezogen nach den Themen Finanzen, Gesundheit, Ernährung, nachhaltiger Konsum, Medien und Verbraucherrecht suchen: www.verbraucherbildung.de.

Weitere Links zu Unterrichtsmaterial: www.oekolandbau.de/lehrer, www.baglob.de, www.aid.de.

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