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Schule: Vom Arbeitsgericht in die Schule Richter lesen Kindern aus der Nachbarschaft vor

„Dreßler ist der Boss, er ist der Größte“, ruft der siebenjährige Esad. Martin Dreßler hat einen dichten grauen Bart.

„Dreßler ist der Boss, er ist der Größte“, ruft der siebenjährige Esad. Martin Dreßler hat einen dichten grauen Bart. Esad umfasst sein Bein, zwei weitere dunkelhaarige Jungs ziehen an seinem Sakko. Der Richter am Landesarbeitsgericht in Tiergarten hat sich mit einigen seiner Kollegen vorgenommen, die Leselust der Kinder in der benachbarten Fritzlar-Homberg-Grundschule zu wecken.

Rund 80 Prozent der Schüler an der Grundschule in der Nähe der Kurfürstenstraße haben Eltern, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Viele leben in Haushalten, in denen kaum Bücher zu finden sind, Rotkäppchen kennen sie oft nur aus dem Fernsehen. Seit Anfang des Schuljahres geht die Klasse 2a einmal die Woche nach nebenan ins Arbeitsgericht. In Zweierpärchen lesen ihnen dort die Richter aus Pippi Langstrumpf, Rumpelstilzchen und Momo vor. Richter Dreßler kam die Idee, als er eines Tages mit dem Rad an der Grundschule vorbeifuhr. Er hat selbst drei Kinder, denen er früher regelmäßig vorgelesen hat. Dass so viele Kinder aus Einwandererfamilien diese Schule besuchen, war ihm zu diesem Zeitpunkt gar nicht so bewusst. „Vorlesen ist an jeder Schule gut, aber an dieser ist es vor diesem Hintergrund natürlich besonders wichtig.“ Insgesamt hat er 24 seiner Kollegen mobilisiert. Sie wechseln sich jede Woche ab.

„Wenn man nicht lesen kann, dann ist es später schwierig zu arbeiten“, weiß Luisa (7). Sie lässt sich nicht nur vorlesen, sondern liest ihren richterlichen Lesepaten auch selbst gern mal vor. Ihrem Schulkamerad Dorka (8) fällt das bisher noch schwer. Zu Hause lese ihm höchstens mal seine große Schwester vor, das seien dann aber langweilige Erwachsenenbücher. Bei seinem Lesepaten hat er die Geschichten vom frechen Sams entdeckt, die er sogar spannender findet als das Fernsehprogramm.

„Die Begeisterung für das Lesen ist auf jeden Fall gestiegen“, sagt Klassenlehrerin Christina Krüger. Für viele sei es eine ganz neue Erfahrung, dass diese schwarzen Dinger auf dem weißen Papier so tolle Geschichten formen. Dreßler weiß, dass er und seine Kollegen als Richter Vorbildfunktion haben. Und so tollen Lesevorbildern wie dem „Boss“ wollen die Kinder einfach nacheifern.

Ute Zauft

Ute Zauft

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