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Schule: Wie aus Stein gehauen: Der Golf auf Amerikanisch

Heute kommt der Caliber von Dodge zu den Händlern – ein Auto mit viel rauem Charme und viel hartem Plastik. Wer bezahlbaren Spaß sucht, sollte zum Dieselmodell greifen

Weil die Welt immer komplizierter wird, ist jeder Beitrag zu ihrer Vereinfachung prüfenswert. Die Marketingleute der Daimler-Chrysler-Marke Dodge haben es beim Thema „Preis-Leistungs-Verhältnis“ versucht: Bevor sie den Schlüssel zu einer Probefahrt mit ihrem neuen Modell namens Caliber herausrückten, sagten sie: „Wir bieten in der Kompaktklasse die meisten PS pro Euro.“ Das ist ein neuer, interessanter Maßstab in einer Branche, in der Tester wie Kunden bisher Klimaanlagen gegen Sitzheizungen und Sonnendächer aufzurechnen versuchten. Die Probetour soll zeigen, ob das Kalkül der in Europa ganz neuen US-Traditionsmarke aufgeht.

Am Start stehen zwei Exemplare: eines mit zwei Liter großem Benzinmotor und stufenloser Automatik unterm Blech und eines mit ebenso großem Turbodiesel und Sechsgangschaltung. Beide in Topausstattung, was ein Preis- Leistungs-Verhältnis von etwa 140 Euro pro PS bedeutet. Bei der (für den Test nicht verfügbaren) Basisversion für 15 000 Euro müsste man nur 100 Euro pro PS bezahlen, was deutlich weniger ist als bei der Konkurrenz von Golf & Co. Nur leider hat der Basis-Caliber neben seinen 150 Pferdestärken auch einen Pferdefuß. Dazu später; jetzt wird gefahren.

Der Einstieg in das relativ hochbeinige Auto ist bequem. Die Karosse mit ihrer hohen Fensterlinie mag man wahlweise als kräftig oder als klobig empfinden. Innen sieht der Caliber jedenfalls recht unamerikanisch aus: vertraute Instrumente statt bunter Mäusekinos. Nur die zusätzliche Meilenskala im Tacho und der digitale Kompass – den man später schnell zu schätzen lernt – deuten auf die Herkunft. Das Fahrgefühl ist ebenso unspektakulär. Federung, Lenkung, Sitze, alles gutes Mittelmaß. Der Fahrtwind pfeift kaum um die kantige Karosserie, dafür ist das Rollgeräusch der riesigen Räder deutlich hörbar. Die Platzverhältnisse sind für vier Erwachsene rundum komfortabel. Hier zahlt sich aus, dass der Dodge dicker ist als die kompakte Konkurrenz. Die Ausnahme ist der fünfte Sitzplatz, dessen Fußraum Mitteltunnel und Getränkehaltern geopfert wurde. Den Fahrer wiederum stört die mäßige Sicht durchs Heck. Da ist es gut, dass die Außenspiegel von der Designabteilung nicht zu Dekoartikeln geschrumpft wurden, sondern Lieferwagenformat haben. Beim Rangieren nützen sie allerdings auch nichts – die Karosserie ist unübersichtlich, und in langen Linkskurven sowie beim Abbiegen stört die mächtige A-Säule.

Schattenseiten hat der Innenraum, aber nicht nur wegen der kleinen Fenster, sondern wegen des verwendeten Materials: hartes, teils kratzempfindliches Plastik. Die wahlweise erhältlichen Chromapplikationen vermeiden zwar die schäbigen Plastikhebel in den Türen, lindern aber das Problem kaum. Selbst das auf Wunsch erhältliche Leder sieht eher billig aus. Zwar waren die Testautos viel besser verarbeitet als ein kürzlich gezeigtes Vorserienexemplar, Golfniveau aber erreichen sie keineswegs. Gibt’s Probleme, weiß man in den ersten vier Jahren zum Glück, wohin man sich wenden kann: Während der bis 50 000 Kilometer gültigen Garantie erledigt der Händler sogar Verschleißreparaturen (außer Reifenwechsel) gratis – Nachahmung erwünscht!

Die getesteten Motoren und Getriebe könnten unterschiedlicher kaum sein. Der bei VW eingekaufte TDI läuft rau, aber nie laut und zieht selbst im sechsten Gang passabel. Sportliche Fahrer haben ab 2000 Umdrehungen immer Bärenkräfte parat. Nur der offizielle Verbrauch von 6,1 Litern löst sich dann in Rauch auf – und zwar in schwarzen mit giftigem Ruß drin, denn der Caliber wird allen Ernstes ohne Partikelfilter verkauft. Auf Nachfrage war von einer Nachrüstlösung für etwa 750 Euro die Rede.

Die stufenlose Automatik des 2,0-LiterBenziners ist für gemächliche Fahrer eine Wohltat, wird aber die Hauptzielgruppe von Dodge – „maskulin, expressiv“ und um die 35 Jahre alt – kalt lassen. Das 150-PS-Auto reagiert unsensibel aufs Gas, immer wieder ist man irritiert, weil das Niederdrücken des rechten Fußes erst verzögert zu einer Beschleunigung führt. Selbst bei mäßigem Gas surrt der Motor aufgeregt; mehr Gas bedeutet noch aufgeregteres Surren, aber die Fahrleistungen steigen dann nicht so wie der Verbrauch, der sich nur mit viel Geduld auf die angegebenen 8,1 Liter drücken ließ.

Eher als in die Automatik wird die Zielgruppe wohl in eine andere Innovation investieren, nämlich ins Soundsystem samt aus der offenen Heckklappe schwenkbaren Lautsprechern. Der eingebaute Gettoblaster ist in der Basisversion allerdings nicht zu haben – und damit wären wir wieder beim Pferdefuß: Die Aufpreisliste des Basismodells beginnt und endet bei der Metallic-Lackierung. Zwar ist das Übliche serienmäßig an Bord, aber wer Klima, Schiebedach oder wenigstens ein Rollo überm Kofferraum haben will, muss mindestens die mittlere Ausstattungsvariante wählen. So landet man letztlich doch bei knapp 20 000 Euro. Bei rund 24 000 ist andererseits schon wieder Schluss, wobei später noch mehrere Sportversionen zu vermutlich höheren Preisen folgen sollen. Ein wenig warten sollten Benzin-Interessenten in jedem Fall: Zum Marktstart am 10. Juni hat nur der Diesel ESP an Bord. Für die Benziner soll die Fahrhilfe ohne Mehrpreis ab August verfügbar sein. Dann wird sich zeigen, ob der Caliber in Europa die Kurve kriegt.

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