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© dpa

Wissenschaftlerinnen: „Intellektuelle Ressourcen ausschöpfen“

Frauen vor: Wie der Präsident der Deutschen Forschungsgesellschaft Matthias Kleiner die wissenschaftliche Qualität verbessern will.

Herr Kleiner, die DFG drängt Hochschulen und außeruniversitäre Institute mit neuen Standards dazu, mehr für die Gleichstellung von Männern und Frauen in der Wissenschaft zu tun. Warum?

Die Beteiligung von Frauen in der deutschen Wissenschaft ist noch immer viel zu gering. Das ist nicht nur ungerecht, sondern eine Verschwendung intellektueller Ressourcen, die wir uns nicht leisten können. Wenn nur zehn Prozent der Professuren auf den höchsten Besoldungsstufen C4 und W3 von Frauen besetzt sind, ist das im internationalen Vergleich beschämend. Die großen Wissenschaftsorganisationen haben in den letzten Jahren zwar ihren Willen zu mehr Chancengleichheit erklärt. Es muss aber noch mehr passieren. Deswegen hat eine hochrangig besetzte Expertenkommission im Auftrag des DFG-Präsidiums jetzt Vorschläge unterbreitet.

Bisher argumentieren viele Fakultäten, sie wählten ihr Personal nicht nach dem Geschlecht, sondern nach der Leistung aus. Oft stünden nun einmal nicht so viele qualifizierte Frauen wie Männer bereit. Stimmt das nicht?

Es ist leider so, dass hervorragende Wissenschaftlerinnen oft einfach vergessen werden – bei Berufungen, bei der Besetzung von Kommissionen oder von Forschungsprojekten oder auch bei der Nominierung für Preise, wie die DFG immer wieder beobachtet hat. Da wirken eingefahrene Mechanismen, die auf strukturelle Defizite zurückgehen. Diese müssen überwunden werden. Unsere forschungsorientierten Gleichstellungsstandards sollen den Einrichtungen dabei helfen.

Ihr Vorgänger Ernst-Ludwig Winnacker hat sich für eine harte Quote in der Wissenschaft ausgesprochen – etwa nach Vorbild der Uni Genf, an der bei jeder vierten Berufung eine Frau eingestellt werden muss. Darauf verzichtet die DFG jetzt aber. War eine harte Regelung nicht durchsetzbar?

Ich habe viel Verständnis für die Forderung meines Vorgängers. Denn er hat über Jahre beobachten müssen, dass vieles versucht wurde und sich doch nicht wirklich etwas geändert hat. Trotzdem halte ich eine durchgehende Quote nicht für sachgerecht, weil die Fächer vor ganz unterschiedlichen Herausforderungen stehen. Wir empfehlen den Einrichtungen deswegen, sich selbst zu einem Kaskadenmodell zu verpflichten. Das heißt, sie sollen sich selbst Ziele für die Steigerung des Frauenanteils auf einer bestimmten Qualifikationsstufe setzen, und zwar vor dem Hintergrund des Frauenanteils auf der vorausgehenden Qualifikationsstufe.

Welche Maßnahmen hält die DFG noch für besonders sinnvoll?

Gleichstellungsaspekte sollen durchgehend bei der leistungsorientierten Mittelvergabe in einer Universität oder einem Institut berücksichtigt werden. Bedeutend ist auch, dass die Einrichtungen Transparenz schaffen und ihre Daten offen legen. Das gehört einfach zum Qualitätssicherungssystem jeder erfolgreichen Hochschule. Auch sollten die Einrichtungen darauf achten, Wissenschaftlerinnen an Kommissionen zu beteiligen. In vielen Fächern sind Frauen durch die Arbeit in Kommissionen aber besonders belastet, weil es eben nur wenig Wissenschaftlerinnen gibt. Mir hat neulich eine Kollegin erzählt, sie habe in anderthalb Jahren an zwölf Berufungsverfahren teilnehmen müssen, ihre Kollegen nur an ein bis zwei. Für solche Arbeit müssen die Frauen bei anderen Aufgaben deutlich entlastet werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt unserer Standards sind Wege zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der Wissenschaft.

Wie streng sind die DFG-Standards im internationalen Vergleich?

Unsere Standards sollen nicht streng sein, sondern effektiv. In anderen Ländern etwa in den USA sind diese Dinge schon viel stärker verinnerlicht als bei uns. Dahin müssen auch wir kommen. Die Standards werden uns dabei einen großen Schritt nach vorne bringen.

Die DFG will Unis, die sich nicht bewegen, bei der Projektförderung benachteiligen. Wie wichtig wird dieses Kriterium bei der Entscheidung und wie wird gewährleistet, dass es tatsächlich angewendet wird?

Wir fragen ja bereits bei Anträgen für Sonderforschungsbereiche, warum keine Teilprojektleiterin dabei ist oder wie das Gleichstellungskonzept für ein geplantes Graduiertenkolleg aussieht. Ein exzellentes Projekt wird nicht scheitern, wenn Wissenschaftlerinnen nicht beteiligt sind. Doch wenn zwei gleich gute Anträge konkurrieren, kann das den Ausschlag geben. In der Exzellenzinitiative hat sich das bereits sehr deutlich ausgewirkt – besonders wegen der ausländischen Gutachter, die bei der Chancengleichheit hohe Anforderungen gestellt haben.

Sind auch Nachteile bei der Förderung durch die DFG zu befürchten, wenn in Anträgen infrage kommende Aspekte der Genderforschung nicht berücksichtigt werden?

Gute Forschung berücksichtigt alle entscheidenden Aspekte eines Themas. Dazu gehören natürlich auch Genderaspekte. Wenn Forscher der Kinderheilkunde ihre Medikation nur an Erwachsenen ausprobieren, ist das schlechte wissenschaftliche Qualität. Das Gleiche gilt, wenn die Herzinfarktforschung nur männliche Mäuse beobachtet. Die DFG wird für Gender- und Gleichstellungsfragen bereits sensibilisierte peers, bevorzugt Männer, bitten, mit anderen DFG-Gutachtern ins Gespräch zu kommen, um diese ebenfalls zu sensibilisieren.

Ist zu erwarten, dass Mitglieder der DFG in den Gleichstellungsstandards einen Eingriff in die Hochschulautonomie sehen?

Das hoffe ich nicht, denn wir respektieren die Autonomie sehr. Darum haben wir auch keine Quote vorgeschrieben, sondern regen unsere Mitglieder dazu an, sich selbst zu verpflichten. Die DFG wird kein Gleichstellungs-TÜV.

Was werden die DFG-Standards in fünf Jahren bewirkt haben?

Wir werden sehen – ich persönlich aber wünschte mir in fünf Jahren X plus 50 Prozent, das heißt eine Steigerung des jetzigen Anteils von Frauen in den verschiedenen Qualifikationsstufen um die Hälfte.

Matthias Kleiner (52), Ingenieurwissenschaftler, ist seit Januar 2007 Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

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