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Berlin: Schulen als Ersatz fürs Elternhaus – die Politik streitet

Wissen vermitteln oder mehr Sozialarbeit leisten? Opposition sieht den Senat auf dem falschen Weg

Von Sabine Beikler

Das Bekanntwerden weiterer Gewaltprobleme an Berliner Schulen hat eine Debatte darüber ausgelöst, ob Berlins Schulen überhaupt in der Lage sind, Defizite in den Familien jugendlicher Straftäter auszugleichen. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hatte in einem Interview gesagt, dass die Aufgabe der Schulen nicht mehr nur die Wissensvermittlung sein könne, sondern zunehmend auch ein „Ersatz fürs Elternhaus“ sein müsse.

Dem stimmte Bildungssenator Klaus Böger (SPD) zu. Es sei Realität in den Großstädten, dass Elternhäuser in vielen Fällen beim Erziehen komplett versagten und praktisch keinen Einfluss mehr auf ihre Kinder hätten. Deshalb müssten Kitas und Schulen mehr Erziehungsaufgaben übernehmen. Er schränkte aber ein, dass sie den Einfluss eines interessierten Elternhauses nicht wirklich ersetzen, sondern allenfalls Orientierung geben könnten. Böger sagte weiter, es gebe keine Möglichkeit der „Elternstrafe“ und auch keine rechtliche Grundlage, Eltern bei missglückter Erziehung ihrer Kinder zum Beispiel die Sozialhilfe zu kürzen. Die Schulverwaltung könne auch nichts tun, wenn überforderte Eltern sich Gesprächen mit der Verwaltung oder Schulpsychologen verweigerten. Das Jugendamt könne erst intervenieren, wenn es „deutliche Schwächen“ in der Erziehung, also Anzeichen für Verwahrlosung gebe.

Der Koalitionspartner Linkspartei/PDS ist skeptisch, dass die aktuellen Probleme alleine durch das Versagen in den betroffenen Familien zu erklären sind. „Vor 15 Jahren waren die Elternhäuser in bildungsfernen Schichten auch nicht unbedingt besser – aber damals hatte man auch mit Hauptschulabschluss in der Regel noch gute Chancen auf einen Ausbildungsplatz“, sagte PDS-Vizefraktionschefin Carola Bluhm. Statt der Defizite in den Familien sieht die PDS vor allem die wirtschaftliche Perspektivlosigkeit als Ursache der Misere an vielen Hauptschulen, die eine der Ursachen sei, dass viele Schüler keinerlei Anlass sehen, sich anders zu verhalten. Die FPD-Schulpolitikerin Mieke Senftleben widersprach Wowereits Ansicht deutlich. Die Schule könne die Familie nicht ersetzen, sagte sie, und das sei auch nicht ihre Aufgabe. Die Schule solle Wissen vermitteln und ergänzende Angebote bereithalten. Lehrer seien aber nicht dazu ausgebildet, Sozialarbeit zu leisten, und es nütze nichts, ihnen derartige Aufgaben aufzuladen.

Ähnlich äußerte sich Katrin Schulze-Berndt von der CDU-Fraktion. Die Idee, dass die Lehrer die Aufgabe übernehmen könnten, die familiären Defizite der Schüler aufzuarbeiten, sei „ein frommer Wunsch“, sagte sie; Lehrer kämen jetzt schon kaum noch mit ihren eigentlichen Aufgaben hinterher. Wenn man schon akzeptiere, dass der Staat überall dort einspringen müsse, wo die Familien ihren Grundaufgaben nicht mehr nachkommen, müsse man vor allem mehr Erzieher einsetzen, sowohl in der Kita als auch im Rahmen von Ganztagsschulen.

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