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© Doris Spiekermann-Klaas

Schulschwänzer: Elf Jahre alt - und nur selten in der Schule

Die Ämter in Neukölln haben viel versucht, aber bei Taran N. half bisher nichts. Eine Jugendrichterin fordert die Heim-Unterbringung für den hartnäckigen Schulschwänzer.

Seine Akte umfasst 50 Seiten und beschäftigt mehrere Behörden. Dabei ist Taran N. (Name geändert) erst elf Jahre alt. Aber der Junge ist ein besonders hartnäckiger Schulschwänzer. Er wächst in Neukölln auf und hat in seinem Leben noch keine Schule regelmäßig besucht. Schule, Jugendamt, Schulamt und das Familiengericht beschäftigen sich seit Jahren mit ihm, ohne Erfolg. Der Fall zeigt, wie machtlos Behörden sein können im Umgang mit Schulschwänzern.

Im ersten Halbjahr des Schuljahrs 2007/08 fehlten in Berlin 16 000 Schüler unentschuldigt; 650 blieben über 40 Tage dem Unterricht fern. Besonders erschreckend findet Kreuzbergs Schulstadträtin Monika Herrmann (Grüne), dass schon Erst- und Zweitklässler schwänzen.

Auch Taran N. kam von Anfang an nur sporadisch. Er ist der älteste Sohn einer Familie, die aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland gekommen ist. Die Familie wird von vier Familienhelfern betreut, die bei der „Stärkung der Erziehungskompetenz der Mutter Fortschritte sehen“. Dies führte aber bislang nicht dazu, dass Taran N. mehr als „ein paar Stunden“ in der Grundschule aufgetaucht ist, wie die Schulleiterin sagt. Bei Hausbesuchen habe sie selbst zusehen müssen, wie der Junge seine Mutter geschlagen habe.

„Ich kann nichts mehr machen, mir sind die Hände gebunden“, sagt Schulstadtrat Wolfgang Schimmang (SPD) zu dem Fall. Es liege nun am Jugendamt und am Gericht, dass sich etwas ändere. Der zuständige Jugendamtsmitarbeiter hat dem Familiengericht nun mitgeteilt, dass Taran in ein pädagogisches Filmprojekt einbezogen werden soll, um ihn „aus der Reserve zu locken“. Dabei stehe allerdings „der Schulbesuch nicht im Vordergrund“. Dieses Projekt sei geeigneter für das Kind als eine Unterbringung in einem geschlossenen Heim. Die zuständige Familienrichterin entschied Ende August, „die Entwicklung abzuwarten“.

Für die Neuköllner Jugendrichterin Kirsten Heisig zeigt der Fall, „wie absurd das ganze Behördensystem ist“. Es dauere viel zu lang, wenn Jugendamt und Schulamt parallel arbeiten, so ein Fall müsse in einer Hand gebündelt werden. Das sieht auch Neuköllns SPD-Kreischef Fritz Felgentreu so: „Wenn man erfolgreich sein will, müssen alle an einem Strang ziehen. Man sollte auch die Ausländerbehörde informieren.“ Es sei doch klar, dass diese Familie nicht integrationswillig sei. „Wenn vier Familienhelfer nichts ausrichten, wird auch ein Filmprojekt den Jungen nicht zum Schulbesuch bewegen“, sagt Richterin Heisig. Es sei eine Frage der Zeit, bis der Elfjährige kriminell werde. Da helfe nur noch die Unterbringung in einem Internat.

Ein solches Internat für hartnäckige Schulschwänzer wollte Neukölln zum ersten Januar zusammen mit dem evangelischen Jugendwerk EJF Lazarus einrichten. Allerdings stehe die Finanzierung noch nicht, sagte Stadtrat Schimmang gestern. Zum ersten Januar wird es mit der Eröffnung wohl nicht klappen.

Wie Berlin mit Schulschwänzern umgeht, ist im Schulgesetz geregelt. Danach können gegen Eltern Bußgelder verhängt werden, wenn sie ihrer Verantwortung für die Einhaltung der Schulpflicht nicht nachkommen. Als letzte Zwangsmaßnahme kann das Kind auch durch die Polizei der Schule zugeführt werden. Die Bezirke machen von diesen Maßnahmen unterschiedlich Gebrauch. Während etwa Neukölln vergangenes Schuljahr 150 Bußgeldbescheide verhängte und 25-mal die Polizei um Hilfe bat, musste in Charlottenburg-Wilmersdorf nur eine Familie Bußgeld zahlen. Beide Bezirke haben je rund 30 000 Schüler. „Bei uns ist das Problem nicht so groß“, sagt Charlottenburgs Schulstadtrat Reinhard Naumann (SPD). „Aber wenn sonst nichts hilft, bin auch ich dafür, das ganze Repertoire an Zwangsmaßnahmen anzuwenden.“ Die Kreuzberger Schulstadträtin hält nichts von polizeilicher Hilfe. Es schrecke Jugendliche nicht ab, sondern mache sie stolz, wenn die Polizei sie am Schultor abliefere. Man müsse die Familien mehr unterstützen. Bußgelder seien aber auch sinnvoll, da sie zeigten, dass der Staat etwas tue.

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