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Berlin: Schutzgehege: Unbemerktes Füßeln unmöglich

Die VIP-Lounge der Berlinale ist ein Schutzgehege in Zabaione-Gelb. Recht verwinkelt ist es hier, erstaunlich rustikal.

Die VIP-Lounge der Berlinale ist ein Schutzgehege in Zabaione-Gelb. Recht verwinkelt ist es hier, erstaunlich rustikal. Das liegt daran, das dies nach der Berlinale der Nachtclub "Adagio" wird. "Die Räume haben wir so vorgefunden", sagt Jean-Jacques Logais, der weltweit wohl einzige Spezialist für Filmfestival-VIP-Lounges.

Faserverstärkte Pappmaché simuliert Naturstein. Braun gestrichene Balken in der Decke tun so, als wären sie aus Holz. Bibelszenen sind in die Kassetten einer Decke gemalt. Ein eisgrauer Teppich ist so weich, dass man darauf barfuß laufen möchte. Hier und da könnte man mit den Zehen an eine Blumenvase stoßen, die Weißblütiges beinhaltet. Und Champagner, so mussten wir feststellen, trinken Stars auch, wenn sie nicht dabei gefilmt werden. Ein Großteil der für die Berlinale gedachten 1200 Flaschen des Sponsors sollen hier über den Tresen gehen. Eine rustikale Holzbar, die mit ihrem Footrail auch goldenen Sandaletten Halt zu geben vermag. Das ist Kitzbühel-Stil. Service: Der französische Barmann Philippe Latil versteht "Champagner" in jeder Sprache.

Brandneu und noch entsprechend fest sind die vier schwarzledernen Zweisitzer, aus denen sich auch ein teuer gepflegter, berühmter, trainierter und doch nur menschlicher Allerwertester nicht ohne Spuren zu hinterlassen, erheben kann. Ein individueller Abdruck - so lange, bis sich der nächste setzt. Unbemerktes Füßeln mit jemandem von der gegenüberliegenden Couch ist jedoch nicht möglich - der niedrige Tisch zwischen beiden hat eine Glasplatte.

"Ich zeige ihnen jetzt einmal etwas ganz Geheimes", sagt Logais und führt zum Lastenaufzug. Es ist der Aufzug mit 6000 kg Tragkraft für 80 Personen, der die ganze Last der Prominenz befördern muss. Durch ihn gelangt man aus den Limousinen von der Rückseite des Gebäudes direkt in die Lounge. Zwei Stockwerke höher befindet sich das Fotostudio, in dem jeder von Gewicht - Schauspieler, Regisseure, Autoren - auf einem überdimensionierten Polaroid abgelichtet wird. Eine immense, knallrote Polaroid-Kamera dominiert den Raum. Das gleiche hartgesottene Sofa wie unten, ein Videorekorder, ein Kosmetikstand mit einer Batterie erigierter Lippenstifte für letzte Reparaturen. "Das Material für jedes Foto kostet allein 100 Dollar." Jean-Jacques Logais flüstert fast. Die 100-Dollar-Bilder werden nach und nach im ganzen Berlinale-Palast aufgehängt.

Der Beruf dieses Mannes ist in höchstem Maße spezialisiert: er richtet VIP-Lounges ein. Und zwar ausschließlich VIP-Lounges von Filmfestivals. Von denen in Japan, Mexiko, in Cannes und in Berlin. Vor zwölf Jahren gründete er seine Firma unter den Palmen von Cannes, und für VIP-Lounges hat der Mann im Hintergrund so seine Prinzipien. "Ein Fingerspitzengefühl braucht man für die Atmosphäre eines Ortes", sagt er und macht die Geste, die Franzosen gerne auch für ein gelungenes Essen anwenden. Dazu schaut er sich die Zirkulation der Leute an einem Ort an: vom Kosmetikstudio zur Bar, zu den ungestörten Sofas, über die Galerie zu den Interviewräumen ein Stockwerk tiefer. Alles hinge ab von der Perfektion des Ortes. "Es gibt kein Recht auf Fehler in diesem Metier", sagt er. So, als gäbe es dieses Recht woanders. "Convivialité" sei der Begriff, um den sich alles drehe, Gastfreundlichkeit. Im letzten Jahr zum Beispiel habe er kurzfristig von Milos Formans Geburtstag erfahren. Innerhalb einer halben Stunde habe man eine Torte mit Schokobären organisiert. Und, man weiß nicht wie, das französische Fernsehen hat von der Berlinale bloß die Bilder gezeigt, auf denen Forman die Kerzen darauf ausbläst. So etwas gefällt Logais.

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