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Berlin: Schweine sind nicht zu läutern

Schweine haben hier keinen Zutritt. Jedenfalls ist die Mauerpforte zum Berliner Arkadien für die unwillkommenen Sauen wie auch die willkommenen Menschen verschlossen.

Schweine haben hier keinen Zutritt. Jedenfalls ist die Mauerpforte zum Berliner Arkadien für die unwillkommenen Sauen wie auch die willkommenen Menschen verschlossen. Wir Zugelassenen werden freilich schriftlich verwiesen auf eine leicht aufzuziehende Gittertür ein paar Meter weiter aufs Kleinglienicker Schlösschen zu . Die Befähigung zum Aufziehen einer Tür wurde den sonst listigen und emsigen Wildschweinen von der Talente austeilenden Natur nicht zuteil. Aber aufs Stoßen verstehen sich die Schweine trefflich. Auf diesem kleinen Umweg lasst uns also nun eintreten. Zum gewiss ungezählten Male. Ich mag aber hier nicht kunst-baedekern, nicht aufzählen, was ungezählte Male anderswo hinreichend nachzulesen ist. Vielmehr frage ich mich, warum eine so schöne, halbkreisförmige Sitzbank gleich hinterm Mäuerchen mit der sauwegen gesperrten Pforte nie auch als Ruheplatz genutzt wird. Weil die ollen Römer eine halbkreisförmige Sitzbank stibadium nannten, heißt auch dieser schöne Aussichtsplatz so. Doch damit kann der Normalbürger ohne Latinum nichts anfangen.

Vielleicht liegt’s daran, dass sich kaum jemand getraut, von einem fremdklingenden Stibadium Besitz zu ergreifen. Ich sah dort, sooft ich auch nach Kleinglienicke aufgebrochen war, nie jemand genießend sitzen, nur auf Abstand fotografieren. Es ist ja auch ein hübsches Motiv: die Bank unter einem pfaufächerartigen Dach, das vorn gestützt wird von einer weißmarmornen Mädchenfigur, die aus einem Füllhorn Früchte langt. Ich schlug heimlich in einem Kunstführer nach: Ceres ist’s, die römische Schwester der griechischen Demeter, beide Göttinnen der Früchte. Mir gefällt das zuckrige Glitzern des Steins. Und weil es an diesem Tage ja recht heiß war, kam es mir im kühlen Marmor wie die perlige Erhitzung eines hübschen Gesichtchens vor. Hier ließ ich mich nieder und zähmte mein im Stadtleben versautes Gemüt, das ernstlich Gefahr läuft, nichts mehr von Muße zu verstehen. So viel zur Ansicht. Nun zur Aussicht. Auf sie ist der Ruheplatz ja auch angelegt. Aussicht mit Wassermusik. Nicht nur die beiden güldenen Löwen speien plätschernd Wasser ins große Terrassenbecken, aus dem auch eine Fontäne hochsteigt, überall übergeben sich Löwenköpfe. Und durchs Laub der drei prächtigen Linden rauscht der Wind. Diese Linden verstellen nicht den freien Blick hinüber nach Potsdam. Sie rahmen ihn. Eine steht stammstark etwas beiseite, die zweite dicht daneben und deren zwei kräftige Stammtöchter wachsen fast waagerecht dicht überm Boden, so dass man sie stützen musste. Der Blick über eine Havelbucht hinweg nach Potsdam war in den Mauerjahren ein Wehmutsblick. Wir sehen Hochhäuser vor der Nikolaikirch- Kuppel. Ich erinnere mich an eigene Kurzsichtigkeit damals, als in den frühen achtziger Jahren dieser Blickachse wegen auch Bäume entfernt, andere beschnitten oder umgesetzt wurden. Ich war schreibend dagegen. Als aber alles fertig war, sah ich meinen Irrtum ein.

Es gibt ja einen noch viel schöneren Blickplatz von diesem Gartenkunstwerk aus, jenen vom Kasino über die Havelufer hinweg bis zum Potsdamer Pfingstberg. Von dieser Aussicht machte in diesem Sommer ein verliebtes Pärchen genussreichen Gebrauch. Es klappte ein Campingtischchen und zwei Hocker auf und begann dort zu frühstücken. Sie läuterten ihre geschundenen Stadtseelen. Da trat ein wohl amtlicher Griesgram herzu und befahl Entfernung. So ginge es ja nun nicht, raunzte der, dass man an kunstgeweihtem Ort einfach frühstückte. Schweine haben begreiflicherweise keinen Zutritt; sie können selbst hier nicht geläutert werden. Aber wer die Kunst vom Frühstück trennt, trennt sie vom Tag und verleugnet allen läuternden Sinn, auf den ja jede Kunst angewiesen ist, wenn sie nicht nur gelehrt , sondern von Herzen und jedem auch in Kleinglienicke genossen sein will.

99 ZEILEN SCHWERK

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