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Berlin: Schwer eingeschlagen

Weltmeister Wladimir Klitschko erzählt Jugendlichen, wie man sich durchs Leben boxt

Nach einer Stunde werden die Mädchen unruhig, kichern und schnattern, als stünde vorne wieder einer dieser Pädagogen, die ihnen die Zeit stehlen. Die Handy-Fotos sind geschossen, die entscheidenden Fragen geklärt. „Haben Sie eine Freundin?“ - „Nein, ich chabe keine Freundin.“ „Wie schwer sind sie?“ „Hundertzähn Kilo“, sagt der Weltmeister im Schwergewicht mit russischem Akzent. Die Fragestellerin kreischt: „Waas?“ So schwer – sie kann es nicht fassen. Vorne steht ein großer schlanker, gut aussehender Typ von 31 Jahren in Poloshirt und Jeans. Er nennt sich Wladimir Klitschko. Wie ein Boxer sieht er nicht aus.

Treptow, Baumschulenstraße, Amelia-Earhart-Schule, Zweigstelle „Produktives Lernen“. Hier werden rund 50 Jugendliche unterrichtet, die im normalen Schulalltag den Anschluss verloren haben. Zwei Tage in der Woche haben sie theoretischen Unterricht, den Rest der Zeit arbeiten sie in verschiedenen Betrieben, um zu testen, was ihnen Spaß macht. Sie brauchen konkrete Erlebnisse, um sich zum Lernen motivieren zu können und den Haupt- oder Realschulabschluss zu schaffen. Produktives Lernen, das passt auch zu Klitschko, ihrem berühmten Gast. Er hat Philosophie und Sport studiert, sogar eine Dissertation geschrieben, aber am meisten habe er in der „Universität des Lebens“ gelernt, sagt er, also beim Boxen. Als er 14 war, fing er zu trainieren an.

Wladimir Klitschko passt kaum durch die Klassentür. Er stellt sich aufrecht vor die Schüler, schaut in ihre Gesichter, fängt an zu erzählen. Er wird sich eine Stunde lang nicht setzen, keinen Schluck aus dem Wasserglas nehmen, das störende Hintergrundgerede ignorieren und präzise formulieren. Ein Lehrstück in Konzentration und Selbstkontrolle. Im Ring sei nicht der physische Schmerz das Schlimmste, sagt Klitschko, sondern das Gefühl, verloren zu haben. Deshalb tue er alles, um zu gewinnen. „Ihr solltet euch jetzt Ziele setzen. Die Zeit vergeht schneller als man denkt. Ich merke schon jetzt, dass mein Körper nachlässt.“

Nach Treptow gebracht hat ihn die „Laureus-Stiftung“, eine weltweit agierende Organisation, die mit Hilfe von prominenten Sportlern und Sponsoren Projekte für benachteiligte Jugendliche organisiert. Boris Becker, Michael Jordan, Katarina Witt und Franz Beckenbauer sind dabei. Laureus unterstützt auch das Berliner Projekt „Kick on Ice“, dabei werden kostenloses Eishockeytraining, Anti-Gewalt-Workshops und Feriencamps angeboten. Kick on Ice ist ein wichtiger Partner für die Lehrer an der Baumschulenstraße. Der Sport soll den Schülern positive Erlebnisse vermitteln und überschüssige Energie abschöpfen.

Klitschko weiß, was die Lehrer von ihm erwarten. Er warnt vor Alkohol, findet eine Schulhofschlägerei in Ordnung, wenn man daraus lernt, räumt ein, dass Pädagogen manchmal nerven, „aber sie wünschen euch nur das Beste“. Seine Lieblingsfächer in der Schule: Literatur und Englisch. Seine Vorbilder: Bill Clinton, Max Schmeling, Bruce Lee, Arnold Schwarzenegger. Der Boxer hat auch Humor. Kann man testen, indem man ihn anspricht – „Sag mal, Sie sind doch der Klitschko?“ – „Nein, nein, ich bin der Bruder“ – „Ach so.“

Die Klitschko-Sonderstunde ist um. Der Boxer bedankt sich für die „Achtung“, die er gespürt habe, versichert, dass er keinen Bodyguard habe und keinen brauche. Dann gibt er Autogramme, jetzt im Sitzen. Auf dem Schulhof rauchen sie schon wieder, hören laut Musik vom Handy, hocken auf der Rückenlehne einer Bank. Julia, 16, aus Alt-Glienicke findet Klitschkos Auftritt „ganz okay“. Zwei Autogramme hat sie bekommen, das sei doch was. Ihr Ziel ist der Realschulabschluss, auch sie hat einen älteren Bruder als Vorbild. „Der hat es hier schon geschafft.“

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