zum Hauptinhalt
In Berlin hat sich Scientology zentral in der Otto-Suhr-Allee angesiedelt. Man wolle möglichst nahe bei den politischen Entscheidern sein.

© Maximilian Kalkhof

Scientology in Berlin: Die Glücks-Versprecher

Mit der Berliner Repräsentanz wollte Scientology Einfluss auf die Regierung gewinnen. Heute deutet vieles darauf hin, dass die Pläne gescheitert sind. Unser Autor hat sich in der Repräsentanz umgeschaut und den Persönlichkeitstest der Sekte gemacht.

“So, dann wollen wir mal!“, sagt Lisa und beugt sich über den Auswertungsbogen. Auf dem Blatt Papier ist eine Kurve abgebildet, zwei Hochpunkte, zwei Tiefpunkte. Lisa legt den rechten Zeigefinger auf den ersten Tiefpunkt. Sie schlägt die Augen auf, der Blick bedeutungsschwer. Dann sagt sie gedehnt: “Du bist nicht glücklich.“ Ich lege den Kopf schief und schaue sie fragend an. “Aber weißt du was?“, fährt Lisa fort, das Redetempo steigernd: “Scientology kann dir helfen, glücklich zu werden. Hast du heute Abend schon was vor?“ Ich blicke auf das Papier vor mir auf dem Schreibtisch. In der Sparte B, die den Glückswert anzeigt, erreiche ich auf einer Skala von -100 (“deprimiert“) bis +100 (“glücklich“) den Wert -50. Mein persönliches Glück ist damit in “unakzeptierbarem Zustand“. “Was kann man denn da machen?“, frage ich. “Ich empfehle dir den Dianetik-Kurs“, sagt Lisa, zieht das Buch “Dianetik“ des Scientology-Gründers Lafayette Ronald Hubbard aus einem Regal und legt es auf den Tisch. Ein Lava speiender Vulkan ziert das Cover. “Der Kurs kostet 53 Euro und beginnt um sieben“, sagt sie. Auf der Digitaluhr, die Lisa während des Persönlichkeitstests neben mir platziert hat, ist es 17 Uhr und 58 Minuten.

Verfassungsschutz: Scientology hat totalitären Charakter

Seit 60 Jahren tritt Scientology mit dem Anspruch auf, eine Religion zu sein. Für Lafayette Ronald Hubbard liegt der Ursprung der Bewegung im Buddhismus. 1970 eröffnete Scientology die erste Zweigstelle in Deutschland. 2007 schließlich weihte der Konzern die Berliner Niederlassung an der Otto-Suhr-Allee in Charlottenburg ein. Laut einem internen Scientology-Bericht aus dem Jahr 2006 soll der sechsstöckige Repräsentativbau aus Glas und Stahl dazu dienen, die “obersten Ebenen der deutschen Regierung in Berlin zu erreichen“. Wegen seines Menschenbildes und der von Hubbard begründeten Ideologie ist der Verein in Deutschland stark in Verruf. Seit 1997 steht Scientology unter Beobachtung des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Der aktuelle Verfassungsschutzbericht attestiert Scientology einen “totalitären Charakter“ und sieht das Ziel des Vereins in der “Abschaffung von Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“. Auch der Berliner Verfassungsschutz beobachtet Scientology. Im aktuellen Bericht ist zu lesen, dass Menschen, die mit Scientology in Berührung kommen, Gefahr laufen, “ihre Persönlichkeit erheblich zu verändern, sich sozial zu isolieren und nicht zuletzt auch finanziell zu ruinieren“.

Freund oder Feind

Frage 1: Machen Sie gedankenlose Bemerkungen oder Anschuldigungen, die Ihnen später leid tun?

Lisa trägt einen schwarzen Hosenanzug. Ihr schwarzes Haar hat sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. “Wir sind ungefähr im gleichen Alter. Ist es okay, wenn wir uns duzen?“, hat Lisa bei der Begrüßung gefragt. Die Scientologin, die mir in der Berliner Repräsentanz den Scientology-Persönlichkeitstest abnimmt, weiß nicht, wie alt ich wirklich bin. Sie weiß auch nicht, dass ich Journalist bin. Für Scientology bin ich der 26-jährige Anglistikstudent Matthias. Anonymous hat mir geraten, dem Verein eine Scheinidentität aufzutischen. Das Internet-Kollektiv hat Scientology 2008 in einer Videobotschaft den Krieg erklärt. Bis heute demonstriert Anonymous einmal im Monat vor der Berliner Repräsentanz. Scientology erfasse die Welt nach einem Schwarz-Weiß-Schema, hat mir Anonymous gesagt. Journalisten seien für die Organisation Feinde.

Frage 3: Blättern Sie einfach zum Vergnügen in Eisenbahnfahrplänen, Telefonbüchern oder Wörterbüchern?

Auf dem Weg vom Foyer in den Testraum hat Lisa begonnen, mich zu löchern. Wie ich von Scientology erfahren hätte und warum ich gerade jetzt käme? Dann hat sie mir zwei Stapel Papier gereicht. Der erste Stapel besteht aus den Fragebögen. Die Antworten kommen auf separate Blätter. Ein kleiner Raum mit Büchern von Lafayette Ronald Hubbard in den Regalen. Ein Bleistift, ein Radiergummi, eine Tasse Kaffee. Hinter den Glasscheiben versinkt Berlin im Dunkeln. Eskortiert von einer Polizeistreife rauscht eine Kolonne Limousinen mit getönten Scheiben vorbei. “Das ist die Regierung“, sagt Lisa.

Frage 88: Wenn wir in ein anderes Land eindringen würden, hätten Sie Mitgefühl für die Kriegsdienstverweigerer in diesem Land?

Etikettenschwindel

Der Persönlichkeitstest von Scientology nennt sich “Oxford Capacity Analysis”. Tatsächlich hat er aber nichts mit der britischen Universitätsstadt zu tun. Der Name Oxford ist nicht geschützt. Mit dem Renommee der Universität wolle Scientology dem Test einen wissenschaftlichen Anstrich geben, sagt Stefan Barthel von der Leitstelle für Sektenfragen des Berliner Senats. Wissenschaftlichen Standards genüge der Test nicht. Die 200 Fragen können mit “Ja“, “Nein“ oder “Weiß nicht“ beantwortet werden. Das Ergebnis des Tests liefert Scientology die Grundlage für die Empfehlung von Persönlichkeits- und Kommunikationskursen. “Die scientologische Interpretation steht aber immer schon vorher fest”, erklärt Stefan Barthel: “Zahlreiche Defizite verhindern ein erfolgreiches und erfülltes Leben. Die Lösung heißt Scientology.” Zudem ködere der Verein Interessenten mit preiswerten Kursen. Die Preise stiegen erst allmählich und trieben die Mitglieder schließlich in den finanziellen Ruin.

Frage 194: Wenn Sie einen Gegenstand verlieren, kommt Ihnen der Gedanke, dass jemand ihn gestohlen oder verlegt haben muss?

“Willst du auch den Intelligenztest machen?“, fragt Lisa, als ich ihr den Persönlichkeitstest ausgefüllt zurückgebe. “Wenn ich schon hier bin“, erwidere ich und bekomme erneut zwei Stapel Papier auf den Tisch gelegt. Für die 80 Fragen habe ich 30 Minuten Zeit. Der IQ-Test ist nach dem Multiple-Choice-Verfahren aufgebaut. Für jede Frage gibt es vier bis fünf Lösungsvorschläge. In den knittrigen Fragebögen stehen Bleistiftnotizen von früheren Testteilnehmern.

Frage 1: Wenn 2 Kugeln Eis 8 Cent kosten, wie viele Kugeln Eis könnte man für 80 Cent kaufen?

Lisa bohrt, bis sie etwas findet

Man könnte meinen, dass auf Tests eine Auswertung folgt. Bei Scientology folgt auf die Tests: das Warten. Lisa läuft mit den Papierstapeln aus dem Raum und lässt ein Werbevideo des Scientology-Programms Criminon laufen. Glatzköpfige, muskelbepackte Gefängnisinsassen in orangener Kluft entdecken dank Criminon ihre gute Seite. Es ist später Nachmittag; ich höre, wie sich das Foyer mit Menschen füllt. Dann sitzt Lisa wieder vor mir. Sie wirkt nicht wie jemand, der mit beiden Beinen im Leben steht. Nicht nur sagt ihr das von mir vorgegebene Studienfach Anglistik nichts. Auch Mannheim, die Stadt, aus der ich behaupte zu kommen, ist der Österreicherin unbekannt: “Ist das in der Nähe von Berlin?“, fragt sie. Doch Lisa denkt noch immer nicht daran, mir das Ergebnis der Tests zu verraten. Stattdessen löchert sie mich erneut: “Hattest du schon mal das Gefühl, jemandem helfen zu können, es aber nicht zu wollen? Hat dich schon mal jemand schlecht kontrolliert? Wieso bist du so selten Ursache?“ Viele der Fragen sind schwammig und unverständlich. Langsam fühle ich mich wie in einem Verhör. Lisa bohrt, bis sie etwas findet, das sie zufriedenstellt. Ihre Augen lassen nicht von meinen.

Verfassungsschutz will Überwachung stoppen

Die Berliner Repräsentanz müsse “die nötigen Zufahrtsstraßen in das deutsche Parlament bauen, um unsere Lösungen tatsächlich eingearbeitet zu bekommen in die gesamte deutsche Gesellschaft“. So steht es in dem internen Scientology-Bericht von 2006. In seinem aktuellen Bericht resümiert der Berliner Verfassungsschutz, dass von den hochfliegenden Scientology-Plänen kaum etwas übrig geblieben sei. Offiziell spricht Scientology von 600 Mitgliedern. Der Verfassungsschutz hingegen geht von 130 Mitgliedern aus. Scientology stecke in einer “tiefen Krise“, ist in dem Verfassungsschutzbericht zu lesen. Aber: “Diese Erfolglosigkeit darf nicht über die anhaltende Gefahr, die von Scientology ausgeht, hinwegtäuschen.“ Dieser Position schließt sich Michael Utsch von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen an. Die Evangelische Kirche in Deutschland sieht Scientology nicht als Religionsgemeinschaft. Der Verein sei ein Wirtschaftsunternehmen, erklärt Michael Utsch. Den jüngsten Plänen des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die Überwachung von Scientology zu stoppen, tritt er deswegen energisch entgegen: “Scientology hat eindeutig verfassungsfeindliche Bestrebungen. Deshalb plädieren wir dafür, dass die Überwachung weitergeht.“

Kurse in Dianetik und persönlicher Effizienz

Außer dem Dianetik-Kurs, der mich glücklich machen soll, empfiehlt mir Lisa schließlich noch einen Effizienz-Kurs für 45 Euro. Meine persönliche Effizienz sei ziemlich im Eimer. Ich gebe vor, zu zögern und mich dann zu einem “Ich muss da noch mal drüber schlafen“ durchzuringen. Doch Lisa lässt noch nicht locker. Auf dem Weg zum Ausgang schleust sie mich in ein kleines Kino und führt mir einen weiteren Werbefilm vor, der die Struktur von Scientology mit peinlicher Genauigkeit erläutert. Menschen in sauber gebügelten Hemden strahlen um die Wette und schütteln unentwegt Hände. Als ich endlich wieder vor der Tür stehe, bin ich ziemlich glücklich.

Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Journalistenschule Berlin. Weitere Beiträge zum Thema "So glaubt Berlin" finden Sie auf soglaubtberlin.de.

Maximilian Kalkhof

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false