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Wachsam in der wachsenden Stadt. Sebastian Scheel vermittelt im Kampf zwischen Mietern und Renditejägern.

© Kai-Uwe Heinrich

Sebastian Scheel: Elegant im Häuserkampf

Berlins neuer Staatssekretär für Wohnen arbeitet sich gerade in sein Amt ein. Der linke Nachfolger von Andrej Holm denkt unideologisch und philosophisch. Eine Begegnung.

Dieser Linke hat alles, was es für einen Popstar der Politik braucht: Mit teurem Tuch und elegantem Binder setzt er ein Zeichen gegen den luschigen linken Dresscode. Nicht Marx sondern Nietzsche nennt der studierte Philosoph als Lieblingsautor. Und jetzt hebt der im Oderland geborene Sebastian Scheel auch noch die eigene Vergangenheit als Hausbesetzer auf: Durch den Wechsel in politische Verantwortung für das, was Jugendlichen heute – so wie ihm damals – vor ihrem Weg durch die Instanzen fehlt: Wohnraum.

Wenn also der Werdegang von Berlins neuem Staatssekretär für Bauen nicht zum modernen Märchen taugt, dann wenigstens als Anschauungsbeispiel für – sozialistisch gesprochen: – lupenreine Dialektik. Und so steht Scheel auch da: Weißes Hemd, grauer Anzug, leuchtend bunte Krawatte. Blaue Augen, unverkrampftes Lächeln, Scheel ist charmant und zugewandt. 100 Tage sind für ihn noch nicht vorbei – und war das nicht die Schonzeit für neue Mandatsträger?

Seit Mitte Februar ist Sebastian Scheel Staatssekretär für Bauen unter Senatorin Katrin Lompscher (Linke). Den Schauplatz für die Begegnung sollte er selbst wählen, einen Ort, an dem er die Ziele seiner Politik anschaulich machen kann. Berlinern käme da die Rigaer Straße in den Sinn, Refugium der Linken, die Oranienstraße, Kampfzone der Gentrifizierung, Kreuzkölln oder sogar der Wedding, der gerade hipp ist. Scheel, aus den Oppositionsreihen im Dresdner Landtag auf die Regierungsbank in Berlin gewechselt, wählt die Erich-Thilo-Straße in Adlershof.

Auf diesen Ort kommt wohl, wer sich gerade einliest, Akten frisst und über die wachsende Stadt nachdenkt – über die elf neuen Quartiere, mit denen Rot-Rot-Grün 37.000 Wohnungen erbauen will. Dafür ist, akademisch betrachtet, Adlershof ein gutes Anschauungsgebiet: Weil es eine S-Bahn-Haltestelle hat, weil dort Teile von Hochschulen, Firmen und Startups ihren Sitz haben „und Menschen ja auch arbeiten müssen“, sagt Scheel. Außerdem ist dort Platz für Neubauten, zwischen den Siebengeschossern, die am Rande der neu asphaltierten Straße aufgereiht sind. Mit bunten Fassaden und variierenden Fensterausschnitten kommen sie nicht gar so monoton daher wie der in Vorstädten übliche, dahingemeterte billige Wohnraum.

Scheel: „Da kann was am System nicht stimmen“

Dass Adlershof das Land Berlin auch Milliarden gekostet hat im Laufe der Jahrzehnte und so wiederholt das Parlament beschäftigte, das muss man dem in Wriezen im Oderland Geborenen schon erzählen. Dass er das nicht weiß, muss kein Nachteil sein, ein neuer Blick auf alte Millionengräber. Jedenfalls wenn das nicht einhergeht mit Gleichmut und Leichtsinn – und neue Haushaltslöcher aufreißt.

„Politische Hygiene“ ist gefordert, um mit Scheel zu sprechen und er wird sich an seinen Worten messen lassen, jetzt wo er selbst Verantwortung trägt. Auf der Oppositionsbank im Dresdner Landtag, als stellvertretender Chef des Untersuchungsausschusses zur Sächsischen Bankenaffäre, beklagte er noch die Verantwortungslosigkeit von Amtsträgern. Schimpfte über politische „Schnittchenritter“, die die Bank kontrollieren sollten, und nach deren Zusammenbruch nichts gesehen, nichts gehört haben wollten.

„Keiner, der falsch parkt und nicht bezahlt, entkommt der Strafverfolgung“, sagt Scheel – aber zur Bankenaffäre habe es nicht ein Urteil gegeben, sondern bestenfalls Deals zwischen Strafverfolgern und Verteidigern. Beschuldigte hätten sich nach Zypern abgesetzt, unerreichbar für die Justiz. Und diese selbst habe einen Formfehler begangen, so dass ein Revisionsverfahren nicht in Gang kommen konnte. „Da kann was am System nicht stimmen“, sagt Scheel. Fälle wie dieser untergrüben die Moral bei den Bürgern.

Da ist er wieder, der Klassenkämpfer: Vater und Opa Bauarbeiter, die Mutter, später alleinerziehend, die ihren Sohn zu einer Ausbildung bei der regionalen Versicherungsanstalt drängte – und zum Verzicht aufs Gymnasium. Scheel machte lieber Abitur, studierte Volkswirtschaft und Philosophie. Was ihn politisierte? „In Frankfurt war man entweder links oder Nazi, da war die Wahl klar.“ Die DDR befand sich da schon in Abwicklung. Sie war gerade rechtzeitig zusammengebrochen, als Scheel 14 Jahre war, also kurz vor dem Zeitpunkt, als der Staat ideologisch zugriff auf Heranwachsende. Mit Palästinenser-Tuch im besetzten Haus abhängen, so nutzte Scheel die neue Freiheit – seine eigene Wohnung in der Genossenschaft gab er aber nicht auf.

Seine Herkunft und Vergangenheit hebt Scheel auf

Ein Kombi parkt auf dem Gehweg. Bauleute vor einer Brache. Scheel zieht eine Zigaretten-Schachtel aus der Tasche. Chesterfield? Ja, die Gauloises waren aus und das hier ist die Firma, die nach der Wende die f6 übernahm – und die DDR-Marke später einstellte. Das Aus für die f6 nennt Scheel einen „Stich ins Herz des Ostdeutschen“. Trotzdem keine Ressentiments? „Wieso? Fast alle unsere Marken wurden eingestellt.“ Die Chesterfield werde wenigstens in Dresden produziert. Rauchen die Ossis aber vielleicht französische Zigaretten und steuern französische Autos, weil sie sich damit abwenden vom Wessi und seinen Marken? Scheel lächelt – privat fahre er Mercedes.

Herkunft und Vergangenheit verdrängt er nicht, sondern hebt sie auf. Dass er im Wahlkampf wegen seiner angeblich unlinken Kleidung angegangen wird, sieht er gelassen: „Es geht um Inhalte, nicht um Pullover.“ Zumal er das Pali-Tuch gegen den Anzug austauschte, weil „ich auch zu einer Hochzeit im Anzug gehe – und wenn das Parlament zusammen kommt, ist das auch ein Festtag: der Demokratie“.

Ist er angekommen, in Berlin, und wie bewertet er die Gefechtslage auf dem Wohnungsmarkt? „In Berlin herrscht das Gefühl vor, dass über Jahrzehnte Politik im Interesse der Eigentümer gemacht wurde.“ Die fortwährenden Mieterhöhungen von Konzernen nennt er „nicht gesund“. Scheel schickt aber gleich die Warnung hinterher, „nicht alle Vermieter über einen Kamm zu scheren“. Deutlicher könnte er sich nicht abgrenzen von seinem über dessen Umgang mit der eigenen Stasi-Vergangenheit gestürzten Kurzzeit-Vorgänger Andrej Holm, dem Idealisten mit Hang zur Ideologie. Der ist nun abgelöst von einem moderat den Interessenausgleich moderierender „Realo“.

Bewahrung der Vielfalt in den Kiezen trotz Gewinnstreben

Ein linker Verteidiger, um es in der Fußballer-Sprache zu sagen, auch mal gut für Flankenläufe am linken Flügel, damit das Runde ins Eckige kommt, damit die Quadratur des Kreises gelingt: Bewahrung der Vielfalt in den Kiezen trotz Gewinnstreben von Renditejägern. Bekümmert, wenn nicht besorgt meint Scheel jedenfalls festzustellen, dass die Gegner „keine gemeinsame Sprache“ mehr fänden. Immerhin, eine „Abstoßungsreaktion gegen die Neuen“, die zu Zehntausenden in die Stadt kommen, sieht er in den Protesten gegen die Gentrifizierung nicht, sondern eher ein Gefühl der Hilflosigkeit.

Und für Scheel ist klar: Wo für Hauseigentümer nur der letzte Euro zählt, da „sägen sie am eigenen Ast“ – denn der Glanz der Stadt sei eben nicht wie in Paris oder London das hochpolierte entmietete Zentrum, sondern seien die quirligen Kieze, vital durch die Vielfalt der Lebensentwürfe. Wie erfolgreich er diese gegen die Macht der Renditejäger verteidigt, davon hängt auch sein politisches Schicksal ab.

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