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Seelöwin Sandra fängt Frisbees mit einem hohen Sprung in die Luft. Jede Übung wird mit Pfiff und Fisch belohnt.

© Kitty Kleist-Heinrich

Seelöwen-Show im Zoo Berlin: Gib mir die Flosse, Kleines

Sie drehen Rückwärtssaltos, machen Schraubensprünge, fangen Frisbees in der Luft, balancieren Bälle und geben Küsschen: Die Seelöwen im Zoo sind Publikumslieblinge. Pfleger Norbert Zahmel trainiert Bulle Enzo und dessen Harem.

Besonders schön ist das Bild, wenn sie ihre Flosse um seine Taille legt. Dann sitzen sie zu zweit eng beieinander auf dem Felsen im Wasserbassin. Sandra hat dunkle, ovale Augen, lange kräftige Tasthaare ganz vorn an der hundeähnlichen Schnauze und einen 100-Kilo-Leib, der erstaunlich schlank wirkt. Norbert Zahmel ist ein sportlicher Typ. Dunkelblauer Neoprenanzug, Basecap, die Hundepfeife lässig im Mundwinkel wie eine Fluppe.

Jetzt lockert seine Lieblingsseelöwin die Umarmung und wirft sich mit ganzer Fülle auf Zahmels Schoß. Der pfeift kurz. Das heißt: Gut gemacht, beide Kuschelnummern okay. Dann greift er in einen Eimer, holt einen Hering heraus, wirft ihn Sandra zu, die jetzt vor Aufregung auf den Vorderflossen zappelt. Schluck, weg ist der Fisch. Showtime bei den Seelöwen im Zoologischen Garten Berlin.

Kalifornische Seelöwen sind Publikumslieblinge. WM-Stürmer Lukas Podolski spielt derzeit nicht nur in der Nationalelf, sondern auch auf Youtube-Videos eine Runde Kopfball mit den als besonders pfiffig, spielfreudig und gelehrig geltenden Robben. Auch im Zirkus gehören sie traditionell zu den Stars. Doch oft werden sie nicht artgerecht gehalten.

Anders im Zoo. Dort ist ihr Zuhause ein künstlicher See, weitaus größer als ein 50-Meter-Olympiabecken. Mit Felsen, die an eine Klippenküste erinnern. Mit umherschaukelnden Beschäftigungstonnen voller Heringe, die sie aus Löchern herauspopeln. Doch ständig scheinen sie in Eile zu sein. Pfeilschnell wendige Körper am Grund oder in den Wellen, oft in Rückenschwimmer-Position, die Vorderflossen auf dem Bauch abgelegt wie zum Nickerchen. Und bei jeder Runde schnellt der Kopf hoch, direkt vor den Zuschauern. Neugieriger Blick, schwups, abgetaucht. Eine Wellenmaschine bringt die 800 000 Liter Wasser in Schwung. Wohlfühltemperatur? 10 bis 15 Grad. Salzgehalt? Fehlanzeige. „Seelöwen leben auch im Süßwasser gut“, sagt Zahmel. „Die sind anpassungsfähig.“

Seelöwenbullen sind besonders eifersüchtig

Fünf Robben betreut er mit seinem Kollegen Björn Bonenberger. Genauer: Sie sind zuständig für Bulle Enzo (14) und dessen Harem. Dazu gehören die zehn- bis zwölfjährigen Seelöwinnen Lucia, Conny, Doro und Sandra sowie Lucias Tochter Luna. Enzo erkennt man an seiner typisch männlichen Stirnwulst und der robusten Figur, 300 Kilo bringt er auf die Waage. „Für Enzo“, sagt Zahmel, „benötigt man eine Gebrauchsanweisung.“

Er sei ein lieber, geduldiger Papa. „Lässt sich von den Kleinen an den Lefzen ziehen. Aber er provoziert auch gern.“ Außerdem achtet Enzo, wie alle Männchen der Seelöwen, streng auf seine Weibchen. Kein anderer darf an sie ran. Deshalb ist er im Zoo konkurrenzlos – im Gegensatz zu den Seehundemännern nebenan. Dort leben zwei Bullen mit vier Weibchen zusammen. „Seehunde“, sagt Zahmel, die sind liberaler und softer.“

Conny ist die Ruhe selbst, Doro ist die launige Diva

Nun steht er am Beckenrand und stellt seine Tiere vor. Conny robbt gerade flink übers Steinplateau. Die Seitenflossen nutzt sie als Ellenbogen, die Rückenmuskeln arbeiten heftig, die nach vorn angewinkelten Hinterflossen schieben nach. Die anderen Weibchen sind im Becken unterwegs – jedes eine eigene Persönlichkeit. Lucia misstraut erstmal jedem Fremden, Conny ist die Ruhe selbst, Doro gilt als launige Diva – Sandra ist Zahmels „Schmusekatze“. Seelöwen lassen sich ungern über ihr weiches Kurzhaarfell streicheln. Nur Sandra ist knuffig-knuddelig. Besonders, wenn sich in Zahmels Eimer viel Verführungspotenzial befindet. Wie viel frisst so ein Seelöwe am Tag?

Rasch das Basecap geklaut . . .
Rasch das Basecap geklaut . . .

© Kitty Kleist-Heinrich

Im Winter müssen Seelöwen schön fett sein

Enzo bekommt im Sommer sechs Kilo Heringe, Makrelen und Sprotten, die Weibchen vier Kilo. Ab Herbst gibt’s die doppelte Ration, Die Tiere brauchen im Winter eine wärmende Speckschicht, im Fachjargon „Blubber“ genannt. „Die müssen schön fett sein“, sagt Zahmel. Im Winter verlassen sie kaum das Becken, schlafen auch im Schwimmen, das Wasser hat dann fünf Grad plus, ist zumindest wärmer als die Luft. Im Sommer nächtigen sie draußen an Land. In ihre Ställe im Robbenfelsen holen sie die Pfleger nur einzeln während der Shows, weil viele Tricks nicht von der ganzen Truppe, sondern in wechselnder Besetzung von ein oder zwei Tieren gezeigt werden. Außerdem zum Kinderkriegen. 2013 gab’s in Enzos Harem vier Junge. Drei leben schon in einem chinesischen Seaworld-Aquarium. Auch Luna soll dorthin.

Enzos Röhre ist so laut wie eine Kettensäge

15.15 Uhr, Fütterung plus Artistik. Zahmel und Bonenberger nehmen noch einen Schluck Kaffee in ihrem Wärterhäuschen am benachbarten Pinguingehege. Sie schlüpfen in ihre Neoprenanzüge, vorm Becken drängen sich gut 200 Zuschauer. Bulle Enzo gehört heute nicht zur Showtruppe, er blökt und brüllt im Stall aus voller Brust. 116 Dezibel schafft seine Löwenröhre, haben die Pfleger gemessen. Die Lautstärke einer Kettensäge.

„Ab ins Wasser und ein bisschen Spaß haben“, ruft Zahmel Sandra und Conny zu. Dann watet er ins Becken, schwimmt und taucht. Es gehört zu seinen obersten Dressurprinzipien, die Tiere in ihrem „ureigenen Element“ zu trainieren. Oft würden Seelöwen nur an Land vorgeführt. Doch erst im Wasser fühlten sie sich so richtig wohl. „Dort kann man viel besser mit ihnen arbeiten, das ist eine ganz andere Nummer.“

Mit Arm- und Handzeichen dirigiert der Trainer die Tiere

Sandra und Conny lassen ihn nicht aus den Augen. Zahmel spricht leise, dirigiert sie vor allem mit Arm- und Handzeichen. Sein Zeigefinger beschreibt einen Kreis, Sandra schnellt aus dem Wasser, Rückwärtssalto. Er reißt seine rechte Hand hoch – Schraubensprung. Er winkt, Sandra wedelt per Flosse zurück. Dann rollt sie sich über den Boden, holt Zahmels Basecap vom Kopf, schleppt ihn durchs Becken, apportiert Frisbees. Sie lässt sich abtasten und in den weit geöffneten Rachen gucken – eine wichtige Übung für medizinische Behandlungen. Zum Finale balanciert Sandra einen Ball auf der Schnauze, das schafft sie dank der steifen, extrem sensiblen Schnurr- oder Tasthaare. Und dann springen beide vom hohen Felsen, so dass es richtig platscht.

Norbert Zahmel (45) ist ein geborener Kreuzberger, arbeitet seit 1985 im Zoo, pflegte bis 2002 die Raubtiere, ging danach eineinhalb Jahre auf Weltreise, ist Vater zweier Kinder und hat seit 2004, als er zum Zoo zurückkam, noch eine zweite Familie. „Das sind unsere Seelöwen“, sagt er. „Die sind alle total nett.“ Gleichwohl dürfe man nie vergessen, dass sie zu den Raubtieren gehören und zubeißen können. Deshalb sind die Pfleger beim Training hochkonzentriert, zumal Seelöwen keine so ausgeprägte Körpersprache wie Hunde oder Katzen haben. Sie müssen auf geweitete Pupillen achten, Imponiergehabe und andere Anzeichen von Angst, Überforderung, schlechter Laune.

Auch dem Weißen Hai entkommen sie mit Saltos

Zahmel hat auch mit Hunden viel Erfahrung. Seelöwen seien wohl genauso intelligent, meint er. Wenn er Robben dressiert, geht er deshalb ähnlich vor. Zuallererst ein „inniges Vertrauen“ aufbauen – mit Leckerlis, ganz ohne Druck und Strafen. Möglichst in Augenhöhe mit den Schützlingen sprechen, sie langsam an die Hände gewöhnen. Zahmel schaut genau hin, welche Vorlieben jedes Tier hat und perfektioniert natürliche Verhaltensweisen. Seelöwen schlagen auch im Pazifik Saltos in der Luft. Sie entkommen so ihren einzigen Feinden, den Orcas und Weißen Haien.

Sandra beherrscht 60 Übungen. Wenn Norbert Zahmel sie leise ruft, patscht sie an Land, pustet ihm ein Küsschen ins Gesicht, gibt die Flosse. Liebe? Zärtlichkeit? „Nee, nee“, sagt Zahmel, „ is’ wohl eher der Hering.“

Kalifornische Seelöwen leben an den pazifischen Küsten. Sie gehören zur Familie der Ohrenrobben, weil sie im Gegensatz zu den Gehörlöchern der Seehunde noch kleine Ohrmuscheln haben. Sie gelten als die elegantesten Robben, können 100 Meter tief tauchen und 15 Minuten unter Wasser bleiben. Die Weibchen bekommen jeweils nur ein Junges, das ein Jahr lang gesäugt wird. Kurios: Seelöwenbabys können nicht schwimmen, sie müssen es erst lernen.

Fütterung und Show im Zoologischen Garten finden täglich ab 15.15 Uhr statt.

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