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Berlin: Seelsorger statt Diplomat

Ein Kirchenführer in guten wie in harten Zeiten: Kardinal Georg Sterzinsky wird 70

Erst wollte er überhaupt nicht feiern. Nun aber gibt es heute früh um neun Uhr doch einen Dankgottesdienst in der St. Hedwigs-Kathedrale und anschließend einen Empfang im Bernhard-Lichtenberg-Haus: Kardinal Georg Sterzinsky wird 70. Nach einem großen Fest ist ihm nicht zumute, nur die engsten Mitarbeiter lädt er mittags zu einem Essen im kleinen Kreis. Überhaupt drängt es ihn nicht mehr an die Öffentlichkeit. Denn das Berliner Erzbistum, an dessen Spitze er seit 1989 steht, ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Sieben fette Jahre auf Pump nach dem Fall der Mauer haben einen Schaden verursacht, den jetzt eine ganze Generation von Berliner Katholiken, aber auch die Katholiken in ganz Deutschland abtragen müssen. Dennoch hält Sterzinsky weiter an der Spitze aus – wohl auch, um die Bürde der Aufräumarbeiten noch so lange wie möglich zu tragen.

Ein glatter Kirchendiplomat war der Kardinal nie. Er versteht sich als oberster Seelsorger, erster Pfarrer seines Erzbistums – ein ehrlicher, kantiger, bisweilen aufbrausender Mann mit weichem Herz. Nein sagen fällt ihm schwer. „Ich kann mich immer nur mit Mühe überwinden, einen notwendigen Streit auszuhalten“, gestand der Zigarrenraucher in einem Gespräch mit einer Schulklasse. Er sei konfliktscheu, leide unter Auseinandersetzungen. Streit, sagt er, das widerspricht „meiner Charakteranlage“. Deswegen hat er damals auf dem Weg in die Schuldenfalle immer wieder nachgegeben, bereits gestrichene Stellen doch noch genehmigt. Er sah den Einzelfall, wollte ihm gerecht werden, doch hat dabei das Wohl des Ganzen aus den Augen verloren.

Die frühen neunziger Jahre waren seine beste Zeit in Berlin. Wenn es um das Schicksal von gesellschaftlich Benachteiligten ging, riskierte er mehr Konflikte als die meisten anderen deutschen Oberhirten. Nach dem Fall der Mauer zählte er zu den prominentesten Fürsprechern für die Belange der Ostdeutschen. Das Verhalten der Unionsparteien in der Ausländerpolitik qualifizierte er als „unchristlich“ und „eine Schande“. Als erster deutscher Bischof prangerte Sterzinsky das Problem der so genannten illegalen Zuwanderer an und forderte von der Politik Antworten. Den Potsdamer Platz nannte er einen Konsumtempel und ging scharf mit den Bauherren ins Gericht, weil sie alle Obdachlosen und Bettler aus dem Glitzerareal vertreiben lassen wollten. Gemeinden, die von der Abschiebung bedrohten Flüchtlingen „Kirchenasyl“ gewähren, sicherte er seine ausdrückliche Unterstützung zu.

Georg Sterzinsky ist selber ein Flüchtling. Er stammt aus Warlack in Ostpreußen. Als er drei Jahre alt war, begann der Zweite Weltkrieg. Die Eltern verschlug es mit ihren sechs Kindern nach Thüringen. Seine Mutter starb, als er elf war. Er habe keine leichte Kindheit gehabt, sagte er einmal. Hunger und Armut habe er erlebt „bis in die Jugendjahre“.

1960 wurde er in Erfurt zum Priester geweiht. Zunächst war er Kaplan im thüringischen Eisenach, dann Pfarrer in Jena und seit 1981 Verwaltungschef im Bistum Erfurt. Eine spektakuläre Berufungsgeschichte erzählt er nicht. Wohl aber, wie Menschen mit selbstverständlichem, bodenständigem Glauben ihn geprägt haben: der Vater, die frommen Geschichten, die seine Großmutter erzählte, der Jesuitenpater, bei dem er ministrierte. Und der den Jungen mochte, einfach so, ohne Bedingung, auch dann, wenn er mal wieder ausrastete. Bis heute hat der Kardinal diese Ausbrüche von Jähzorn, aber er kann auch über sich lachen.

Im Oktober 2000 ehrte ihn der gerade verstorbene Alt-Bundespräsident Johannes Rau mit dem Großen Verdienstkreuz. Zur Begründung hieß es damals, Sterzinsky begleite das Zusammenwachsen im Erzbistum Berlin seit 1989 aktiv und behutsam. Der Kardinal habe die „Ökumene vor Ort“ gestärkt und sich als „Brückenbauer“ erwiesen – aus heutiger Sicht Worte wie aus einem anderen Jahrhundert.

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