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Berlin: Seit 20 Jahren wohnt man in der "Schlange" über dem Verkehr - Die Mieter sind zufrieden

Unter den Schlaf- und Wohnzimmern rollen die Autos, und kein Mucks ist zu hören: Es sollte ein "Pilotprojekt" werden, deutsches Vorzeigestück für das "Recycling innerstädtischer Verkehrsflächen", und anfangs strömten Fachleute aus aller Welt, meist aus Japan, nach Schmargendorf, um sich das Bauwerk anzusehen. Bis heute hat die Autobahnüberbauung Schlangenbader Straße aber keine Nachahmer gefunden.

Unter den Schlaf- und Wohnzimmern rollen die Autos, und kein Mucks ist zu hören: Es sollte ein "Pilotprojekt" werden, deutsches Vorzeigestück für das "Recycling innerstädtischer Verkehrsflächen", und anfangs strömten Fachleute aus aller Welt, meist aus Japan, nach Schmargendorf, um sich das Bauwerk anzusehen. Bis heute hat die Autobahnüberbauung Schlangenbader Straße aber keine Nachahmer gefunden. Gestern erinnerte die städtische Wohnungbaugesellschaft DeGeWo daran, dass vor 20 Jahren die ersten von 5000 Mietern in die "Schlange" zogen.

Zum Jubiläum präsentierte DeGeWo-Vorstand Thies-Martin Brandt eine aktuelle Mieterumfrage: Drei Viertel aller Bewohner fühlen sich in der "Schlange" sehr wohl, schätzen die grüne und ruhige Umgebung, die großzügigen Terrassen, die individuellen Grundrisse der Wohnungen; immerhin gibt es 120 verschiedene Wohnungstypen von 34 bis 120 Quadratmetern, darunter zahlreiche Maisonettes. 45 Prozent der Mieter wohnen länger als zehn Jahre an und über der Autobahn. Allerdings ist die jährliche Fluktuation von fast 12 Prozent recht hoch. Fast jeder zweite Mieter meint, dass der Ruf der "Schlange" von außen abgewertet wird.

Vergleichsweise Kleinigkeiten zu den Problemen, die von der "Schlange" schon bewältigt werden mussten. Es gab Proteste von Bürgerinitiativen, Bedenken des Bezirks, Architekten liefen Sturm. Auch während des Baus gab es große Aufregung, weil sich Senkungen gezeigt hatten, der Bau musste mit Beton-Injektionen gestärkt werden. Dann ging der Mosch-Gruppe als Bauherrn die finanzielle Puste aus, die DeGeWo übernahm das Projekt, ihr Vorstand hieß damals Klaus Franke, der später Bausenator und bis 1999 Alterspräsident des Abgeordnetenhauses war. Franke hätte sich damals nicht träumen lassen, hier selbst einmal zu wohnen, seit etlichen Monaten aber ist er hier zu Hause, wohnt ganz oben zur Miete. Er und seine Frau schwärmen von der Ruhe, den schönen Sonnenauf- und -untergängen und dem "kleinen, ruhigen Garten" über der Autobahn.

Bis zu 14 Etagen hoch ist dort gebaut, unten 75 Meter breit und oben auf 20 Meter verjüngt. Mehr als 1700 Wohnungen entstanden direkt an der Stadtautobahn. Zu den Besonderheiten des Gebäudekomplexes, der annähernd 400 Millionen Mark kostete, gehören vor allem der Schall- und Erschütterungsschutz, eine pneumatische Müllentsorgung, Parkmöglichkeiten unter der Autobahn. In der von Georg Heinrichs und Klaus D. Krebs entworfenen Anlage, die ursprünglich "Wohnpark Wilmersdorf" hieß, gab es das erste Berliner Kabelfernsehen. Spielplätze, Kindertoiletten, Grünanlagen gehören zum Komplex, ferner ein Kundenzentrum, Gästewohnungen oder ein Seniorentreffpunkt. Die Wohnanlage wurde 1998/99 für knapp 10 Millionen Mark instand gesetzt und modernisiert, Fassaden, Flure, Parketagen und Treppenhäuser sind heller und sicherer, der Wegfall der Fehlbelegungsabgabe hat nach Auskunft des DeGeWo-Vorstands seit 1998 "eine ausgewogene Mieterstruktur begünstigt", ein größeres Leerstandsproblem gibt es nicht mehr. Siegfried Scheffler, Staatssekretär im Bundesverkehrs- und Bauministerium, sprach gestern von einer eindrucksvollen Architektur, die Wohnen und Verkehr kombiniere und die Autobahnschneise in Schmargendorf überbrücke. "Markante Gebäude machen den Reiz unserer Städte aus" lobte Maria Krautzberger, Staatsekretärin der Senatsbau- und Verkehrsverwaltung. Und sie erinnerte an einen der heftigsten Kritiker von einst: Hans Stimmann, den heutigen Senatsbaudirektor.

Christian van Lessen

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