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Kreuzberg im Herbst 2013. Als es neulich zu Gewalttaten kam, rückte auch noch die Polizei an.

© dpa

Selbstverwaltetes Flüchtlingsheim in Kreuzberg: Der Wind pfeift immer schärfer um die Schule

Vor gut einem Jahr sind die Flüchtlinge in eine alte Kreuzberger Schule gezogen. Die Bezirksbürgermeisterin vermisst die Kooperation. Doch die Bewohner vermissen viel mehr. Ein Besuch.

Im Treppenhaus der alten Schule riecht es nach Urin, in den Fluren auch. „Wann geht endlich der Gestank weg?“, fragt ein 31-jähriger Sudanese, der sich gerade im Gang mit einem Freund aus Tunesien unterhält, und schüttelt sich. Die beiden stehen nicht weit entfernt von den Toiletten, die keine Türen haben. Der Boden glänzt feucht, ein paar Toiletten sind herausgerissen. Es zieht, die zerbrochenen Fensterscheiben im Flur sind notdürftig mit Plastikfolie und Karton zugeklebt. Der Wind pfeift durch kleine Löcher in der Folie.

Seit Anfang Dezember 2012 wohnt der 31-Jährige in der ehemaligen Kreuzberger Gerhard-Hauptmann-Schule. Damals sind die Flüchtlinge vom Oranienplatz vor dem Winter in das leerstehende Gebäude geflüchtet. Seitdem duldet der Bezirk die Flüchtlinge, stellt Wasser, Strom, Müllabfuhr und Heizung.

Hermann verkündet Scheitern der Schule

Diese Woche aber hat die Kreuzberger Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann verkündet, das selbstverwaltete Flüchtlingsheim in der ehemaligen Gerhard-Hauptmann-Schule sei gescheitert. Herrmann hat das Haus bis vor Kurzem gegen den Widerstand des Senats verteidigt, ihre Aussage ist ein bisschen so etwas wie die Aufkündigung einer Beziehung. Sie erklärt enttäuscht, „es gibt in dem Flüchtlingsheim keine Strukturen, keine Ansprechpartner“. Trotzdem will sie das Haus nicht räumen lassen. „Damit würden wir das Problem ja nur auf die Straße verlagern.“ Stattdessen möchte sie für die Bewohner eine Lösung finden.

Schon seit Anfang September verhandeln Mitarbeiter des Bezirksamts immer freitags mit den Bewohnern der alten Schule, wie es weitergehen soll. Mit den bisherigen Treffen ist Herrmann allerdings nicht zufrieden. Die Bewohner kämen nur selten, würden nicht kooperieren.

Zwischen 200 und 250 Menschen leben gerade in der Schule. Viele sind Asylbewerber, die ihre Flüchtlingsheime in anderen Bundesländern anlässlich des Protestmarsches im Herbst 2012 in Richtung Berlin verlassen haben. Aber auch Einwanderer ohne Papiere sind unter den Bewohnern der Schule, Roma-Familien und deutsche Obdachlose.

Frustration bei den Asylbewerbern

Von Herrmanns Frust weiß an diesem Nachmittag in der alten Schule noch niemand. Der Sudanese aber ist auch frustriert. Er sagt: „Ich habe keine Lust auf diese Treffen mit dem Bezirksamt. Das bringt doch nichts“. Jedes Mal führe die Diskussion zu nichts. „Die Politiker erklären uns seit einem Jahr, es sei eine Schande, dass wir so leben müssen. Aber nichts hat sich geändert und es wird sich auch nichts ändern.“ Es ist ein Missverständnis. Die Bezirkspolitiker denken, die Flüchtlinge wollten sich in der alten Schule selbst organisieren. Und die Flüchtlinge denken, die Bezirkspolitiker könnten die deutsche Asylpolitik ändern. Der 31-Jährige erklärt, dass deutsche Asylsystem mache die Menschen verrückt. „Im Sudan leben Flüchtlinge aus Eritrea und aus Äthiopien, mitten unter uns, sie können arbeiten, sich frei bewegen.“

Er kommt aus der Bürgerkriegsregion Darfur. Bis Herbst 2012, bevor er mit dem Protestmarsch nach Berlin kam, lebte er nach eigenen Angaben ein Jahr lang in einem Flüchtlingsheim in der Nähe von Eschede in Niedersachsen. Dort, sagt er, sei es noch viel schlimmer gewesen als jetzt. „Auf der Straße wurde ich bespuckt und angegafft wie ein Tier im Zoo.“ Seinen Namen will der Sudanese nicht in der Zeitung lesen. Er zeigt sechs Strafzettel, auf jedem ist eine Strafe von 300 Euro festgesetzt, wegen Verletzung der Residenzpflicht. Eigentlich hätte er Niedersachsen nicht verlassen dürfen. „Ich kann nicht zahlen, ich darf ja nicht arbeiten!“, ruft er. Auf einem Zettel steht, dass er ins Gefängnis muss, wenn er noch mal aufgegriffen wird.

Irgendwann geht er hinunter in einen Flachbau vor der Schule. Dort kocht er mit zwei Nigerianern über einem Gaskocher – es ist die einzige Kochgelegenheit im ganzen Haus – Fufu, einen Brei aus Maniok, den man in ganz Afrika isst. „Gegen das Heimweh“, sagt er.

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