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Seltsame Sitten: Passanten machen Mauerstück zum Kaugummi-Grab

Immer mehr Kaugummis kleben an der Mauer am Potsdamer Platz. Die Ämter sind ratlos, viele Touristen fasziniert.

Conni Gastern, 18, steht vor dem Mauersegment am Potsdamer Platz und macht ein Foto, oder besser: ein Foto von all den Kaugummis auf der Mauer. Tausende dieser Flatschen kleben darauf. Weiße, blaue, gelbe, allesamt platt gedrückt. „Ich find’ das ja ziemlich witzig, eine coole Idee“, sagt die 18-jährige Touristin aus Nordrhein-Westfalen. Kurz hatte sie daran gedacht, ob auch sie ihr Kaugummi an die Mauer drückt, „aber ich fand das doch etwas eklig“. Diese klebrige Mauer ist die zweite Sehenswürdigkeit, die sie sich in Berlin angeschaut hat.

Eigentlich sollte es diese spezielle Touristen-Attraktion gar nicht mehr geben. Denn die Kaugummi-Plage kam vor einem Jahr über Berlin – gereinigt wurde die Mauer aber nie. Harald Büttner, Leiter des Bau- und Tiefplanungsamtes in Mitte, sagt: Die Zuständigkeit liege nicht beim Bezirk, sondern bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt: „Wir haben der Stadtentwicklungsverwaltung den Tipp gegeben, die Kaugummis mithilfe von Vereisung zu entfernen“, sagt Büttner. „So haben wir das auf dem Alexanderplatz gemacht.“ Dort klebten die Kaugummis auf den Gehwegplatten. Die Reinigungsfirmen sprühten spezielles Vereisungsmittel auf die Kaugummiflatschen, diese verhärteten sich, im gefrorenen Zustand konnten sie schließlich einzeln abgekratzt werden. Das allerdings funktioniert nicht auf der alten Mauer: die würde sonst zerstört werden.

Als das Denkmal im vorigen August gereinigt werden sollte, konnten die Fachleute daher nichts gegen die Plage unternehmen. In der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt heißt es nun: „Wir können nur an die Menschen appellieren, die Mauer nicht mehr zu bekleben – sonst wird Geschichte zerstört“, sagt Sprecherin Daniela Augenstein.

Die Kaugummis kleben nicht nur an der Mauer.

Am Potsdamer Platz sind aber nicht nur die Überreste der Berliner Mauer, sondern auch die Gehwege mit ausgespuckten und festgetretenen Kaugummis übersät. Viele haben sich längst verfärbt, sind schwarz vom Dreck. Etwas ratlos sind auch die Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR): „Das Problem ist, dass wir sandverfugte Gehwege und Flächen in Berlin haben. Wenn wir da mit dem Hochdruckreiniger rangehen, lösen sich die Steinplatten vom Boden“, sagt Bernd Müller, Sprecher der BSR. „Wir können nur Kehrmaschinen einsetzen, die mit Wasser und Bürsten arbeiten. Damit lässt sich aber nicht alles entfernen.“ Auch er appelliert an die Menschen, die Kaugummis nicht einfach auf die Straße zu spucken. Die Lösung sei doch so viel einfacher und gar nicht mal zu viel verlangt: „Wir haben in Berlin rund 20 000 Papierkörbe, da kann ich ein Stück Papier nehmen, das Kaugummi einwickeln und in den Mülleimer befördern.“

Am Potsdamer Platz diskutieren Touristen über die Kaugummiflatschen auf den Berliner Mauersegmenten. Ein Tourist aus Chicago ist begeistert und erkennt sogar eine Botschaft: „Die Leute, die ihr Kaugummi an die Mauer kleben, wollen damit ein Statement setzen.“ Und das wäre? „Dass der Bau der Mauer falsch und unnötig war – ich finde das klasse.“ Eine junge Familie sieht das ein wenig anders: „Es ist nicht in Ordnung. Die Mauer ist ein Denkmal und spiegelt auch unsere Geschichte wider.“ Die Mutter kann gerade noch ihre Tochter zurückhalten, die die Mauer „mal anfassen“ wollte.

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