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Matthias Kollatz (SPD, l), Finanzsenator von Berlin, und Michael Müller (SPD), Berlins Regierender Bürgermeister.

© Christophe Gateau/dpa

Senat beschließt Nachtragshaushalt: Berlin stellt fast 3 Milliarden Euro zur Verfügung

Mit den Mitteln sollen die Wirtschaft und das Gesundheitssystem in der Coronavirus-Krise gestärkt werden.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Für die finanzielle Bewältigung der Coronavirus-Krise stellt der Senat in einem ersten Schritt fast drei Milliarden Euro zur Verfügung. Damit werden Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und andere Maßnahmen zur Stärkung des Berliner Gesundheitssystems bezahlt. 

Das meiste Geld verschlingen aber Zuschuss- und Kreditprogramme für kleine und mittlere Unternehmen (Rettungsschirm I) sowie für Solo-Selbstständige und Kleinunternehmer (Rettungsschirm II). Dafür beschloss der Senat am Dienstag einen Nachtragshaushalt für 2020.

Der größte Teil der gigantischen Summe ist aber ein Durchlaufposten. Denn 2,6 Milliarden Euro zahlt der Bund, dieses Geld fließt als Einnahme zurück in den Berliner Landeshaushalt. Außerdem dient der für 2020 eingeplante Haushaltsüberschuss von 225 Millionen Euro als zusätzlicher Puffer. 

Deshalb kommt der Senat mit diesem Nachtrag wohl ohne die Aufnahme neuer Schulden aus. „Wir können den Etat 2020 voraussichtlich auf null fahren“, sagte Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) am Dienstag.

Es drohen desaströse Steuerausfälle

Schwieriger wird es, wenn im Mai die bundesweite Konjunkturprognose sowie die Steuerschätzung vorliegen. Dann ist mit desaströsen Steuerausfällen in Bund und Ländern zu rechnen. Vorläufige Prognosen der Berliner Finanzverwaltung gehen davon aus, dass mindestens 2,6 Milliarden Euro neue Kredite aufgenommen werden müssen. 

Die Schuldenbremse wird vorläufig außer Kraft gesetzt. Seit 2012 war es dem Land Berlin gelungen, vom gigantischen Schuldenberg von 57,5 Milliarden Euro immerhin 5,3 Milliarden Euro abzutragen. Dieser Konsolidierungserfolg könnte durch die Pandemie teilweise zunichtegemacht werden.

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Die wesentlichen Posten im neuen Nachtragshaushalt, der vom Abgeordnetenhaus noch beschlossen werden muss: Für Schutzausrüstungen für das medizinische Personal stehen 50 Millionen Euro zur Verfügung, weitere 29 Millionen Euro für Beatmungsgeräte. 

Die Behelfsklinik für Covid-19-Patienten auf dem Messegelände wird voraussichtlich 56 Millionen Euro kosten. Die Zuschüsse für Solo-Selbstständige und Kleinunternehmer sowie die Darlehensprogramme für den Mittelstand schlagen mit 2,6 Milliarden Euro zu Buche, die aber vom Bund getragen werden. Die landeseigene Messe GmbH erhält eine Finanzspritze von 25 Millionen Euro und die Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg 111 Millionen Euro, um in der flugarmen Zeit über die Runden zu kommen.

Hintergrund-Informationen zum Coronavirus:

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) und seine Senatoren hatten sich bei ihrer Sitzung Gäste aus der Wirtschaft eingeladen: Beatrice Kramm vertrat als Präsidentin der Industrie- und Handelskammer (IHK) Unternehmen, Christian Hoßbach stellte als Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Berlin-Brandenburg die Krise aus Sicht der Arbeitnehmer dar, und Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) gab ökonomischen Rat.

Gewerkschaften weisen auf Situation der Auszubildenden hin

Hoßbach sagte nach der gut zweistündigen Beratung, er habe das Thema Arbeitsschutz angesprochen. „Der kommt zu kurz in der Krise“. Er erwarte nicht, dass sofort jede gewünschte Maßnahme umgesetzt werde. „Aber es wird in vielen Betrieben noch gearbeitet und da müssen die Angestellten genügend informiert und vor dem Virus geschützt werden“, forderte er. 

Der Gewerkschafter wies auch auf die besondere Situation der Auszubildenden hin. „Wir machen uns große Sorgen, dass viele Ausbildungsverhältnisse kaputtgehen in diesen Wochen“. Es sei denkbar, dass Firmen sich als Erstes von den jüngsten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern trennen. „Da brauchen wir schnelle politische Lösungen“.

Alles in allem zeigte sich Hoßbach aber weitgehend zufrieden mit dem Krisenmanagement des Senats. Man könne Kritik an einzelnen Punkten üben, aber „man muss auch sehen, in welchem Wahnsinnstempo das alles passiert. Es ist ja nicht so, dass die für das alles einen Notfallplan in der Schublade gehabt hätten“.

IHK kritisiert Senat

IHK-Präsidentin Kramm gab sich nach der Sitzung deutlich weniger versöhnlich. Sie nahm die für mittelständische Unternehmen bedrückende Nachricht mit, dass der Senat offenbar nicht bereit sei, Unternehmen mit mehr als zehn Mitarbeitern zu fördern. „Die Weigerung des Senats, Zuschüsse an Unternehmen mit mehr als zehn Mitarbeitern zu zahlen, ist eine schallende Ohrfeige für die mittelständischen Unternehmen und ihre Hunderttausenden Beschäftigten“, erklärte Kramm.

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„Es ist der Mittelstand, der Berlin durch die Finanzkrise getragen hat. Es ist der Mittelstand, der in den vergangenen Jahren der Hochkonjunktur ganz entscheidend zur Wertschöpfung in der Stadt beigetragen und viele Projekte von R2G durch seine Steuern überhaupt erst möglich gemacht hat. Und es ist der Mittelstand, der jetzt am meisten unter dem Lockdown leidet.“

Man rede hier auch von Berlins Clubszene, von der Vielfalt des gastronomischen und touristischen Angebots, von Einzelhändlern und Industriebetrieben, die von der Krise betroffen seien.

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„Und die Frage muss erlaubt sein, warum der Berliner Senat auf der einen Seite ungeprüft dreistellige Millionenbeträge an Unterstützung zahlt und auf der anderen Seite sehenden Auges in Kauf nimmt, dass viele mittelständische Betriebe das von der Politik verordnete künstliche Koma nicht überleben. Andere Bundesländer haben hier klug Vorsorge getroffen“, erklärte die IHK-Präsidentin.

DIW-Präsident Fratzscher wollte die Beratungen nicht kommentieren. Das Gespräch sei vertraulich gewesen, ließ er ausrichten.

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