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Senat reagiert auf Kritik: „Mehr Blitzer sind nicht die Lösung“

Verkehrsstaatssekretär Christian Gaebler erklärt, warum in Berlin Geld für die Unfallbekämpfung verfällt und wie die Straßen auch ohne verstärkte Überwachung und mehr Tempo 30 sicherer werden sollen.

Einer der renommiertesten deutschen Unfallforscher hat im Tagesspiegel am vergangenen Sonnabend dem Senat vorgehalten, zu wenig für die Verkehrssicherheit zu tun. Ein harter Vorwurf angesichts der zuletzt stark gestiegenen Zahl der Unfallopfer.

Viel von dem, was da gefordert wurde, machen wir längst: Wir bauen Mittelinseln, legen Fahrradspuren an und stellen den Bezirken leihweise Dialog-Displays zur Verfügung, die Autofahrer vor Schulen zum Langsamfahren animieren. Wenn man die ganze Stadt damit zupflastern würde, ließe der Effekt nach.

Der Vorwurf ging auch dahin, dass niemand aus der Verkehrsverwaltung dabei war, als die dramatische Unfallbilanz für 2011 vorgestellt wurde.

Das ist unangemessen, denn es handelte sich um eine Veranstaltung der Polizei, zu der wir nicht eingeladen waren. Ich glaube, wir müssen uns bei der Verkehrssicherheit nicht verstecken; weder bei den Zahlen noch bei den Investitionen.

Die Zahl der Verunglückten ist im Vergleich zum Vorjahr um 14 Prozent gestiegen und wir hatten zehn Tote mehr.

Wir sind mit diesen Zahlen nicht zufrieden, aber wir haben bundesweit die wenigsten Toten. In den Vorjahren hatten wir einen sehr deutlichen Rückgang, was auch Ergebnis unserer Arbeit ist. An vielen neuralgischen Stellen haben wir strengere Tempolimits angeordnet. Warum die Unfallzahl wieder gestiegen ist, analysieren wir.

Von den 500 schlimmsten Brennpunkten auf der Liste der Unfallkommission sind bisher 55 umgestaltet worden. Also elf Prozent nach sieben Jahren ihres Bestehens.

An jeder Maßnahme sind viele beteiligt. Sobald wir etwas ändern wollen, bekommen wir zahlreiche Briefe mit unterschiedlichsten Meinungen dazu. Die können wir nicht ignorieren, denn wir wollen ja die Akzeptanz der Betroffenen. Deshalb dauert eben alles seine Zeit. Dafür wird am Ende auch das Richtige getan. Wir hätten gern mehr Geld dafür, aber der Finanzsenator stellt uns nicht mehr zur Verfügung. Wir versuchen, das innerhalb unseres Haushalts umzuverteilen.

Der Finanzsenator hat das Budget der Unfallkommission gerade um ein Viertel gekürzt, weil von einer Million Euro zuletzt nur 230 000 Euro ausgegeben worden sind.

Es gab da einen Umsetzungsstau, den wir jetzt zügig abarbeiten. Das Geld kann nicht immer kontinuierlich ausgegeben werden, weil in manchen Jahren mehr fertig wird und in anderen weniger. Bauliche Veränderungen haben einfach lange Planungs- und Vergabezeiten. Das müssen wir in der künftigen Haushaltsplanung berücksichtigen, damit genug Geld für diese Maßnahmen da ist.

Brauchen wir eine Task Force, damit die Zusammenarbeit zwischen den Akteuren besser wird?

Gremien gibt es genug. Wir müssen eher darauf achten, trotz der vielen Beteiligten – Bezirke, Verkehrslenkung, Polizei, Anlieger – zügig zu entscheiden.

Warum in Berlin nicht mehr Tempo 30-Zonen eingerichtet werden

Ist die Unfallbilanz im Senat zur Sprache gekommen?

Wir analysieren das hier in der Verwaltung. Die wichtigste Erkenntnis ist: Wir müssen zu mehr Rücksicht und zur Einhaltung der Regeln kommen. Wir müssen zum Beispiel entschlossen dagegen vorgehen, dass Radfahrer selbstverständlich die Gehwege benutzen und so Fußgänger gefährden. Das gilt für alle Verkehrsteilnehmer, die zunehmend gegen Regeln verstoßen. Wir haben auch mehr Rotlichtverstöße. Das betrifft nicht nur Radfahrer, sondern auch Fußgänger und Autofahrer.

Von Letzteren sind allein an den 17 stationären Rotlichtblitzern mehr als 40 000 fotografiert worden. Rechnet man das auf die 2000 Berliner Ampeln hoch, bedeutet das pro Jahr rund fünf Millionen Rotlichtverstöße. Da müssten mehr Blitzer doch die selbstverständliche Konsequenz sein.

Dass bei Rot gefahren wird, ist zumindest bei Autofahrern immer noch die Ausnahme. Diese wohlfeile Forderung, überall Blitzer aufzustellen, scheitert schon an den technischen und finanziellen Voraussetzungen…

… die vorhandenen Geräte haben sich überwiegend nach wenigen Monaten rentiert.

Es geht uns aber nicht ums Kassieren. Mit festen Blitzern wollen wir an bekannten Unfallschwerpunkten die Verkehrssicherheit erhöhen, und das gelingt auch. Stadtweit kommen wir nur mit einer Aufklärungskampagne weiter, die sagt, dass Regeln den Verkehr sicherer machen und deshalb eingehalten werden müssen. Das planen wir aktuell zum Beispiel mit einer Kampagne für den Radverkehr. Wie viele Blitzgeräte soll ich denn aufstellen? Hundert? Tausend? Zehntausend? Mehr Blitzer sind ein Beitrag, aber nicht die Lösung gegen Rotfahrer und Raser.

Selbst die Polizeipräsidentin sagt, dass manche Leute nur durch das ständige Risiko, erwischt zu werden, zur Vernunft gebracht werden können.

Deshalb setzt die Berliner Polizei ja erfreulicherweise verstärkt auf mobile Kontrollen. Aber ich halte die Forderung nach möglichst vielen stationären Blitzern für falsch.

Fehler beim Abbiegen liegen in der Unfallstatistik mit Abstand vorn. Der Unfallforscher sieht eine Hauptursache darin, dass es in Berlin nur wenige Ampeln mit eigenen Grünphasen für Abbieger gibt. Warum richtet die Verkehrslenkung nicht mehr solche Ampeln ein?

Separate Abbiegephasen bedeuten noch kürzere Grünzeiten für Fußgänger und längere Umläufe der Ampeln. Außerdem bräuchten wir mehr Platz für Abbiegespuren. Das für alle Ampeln in der Stadt zu verlangen, wäre weltfremd. Bei den Rechtsabbiegern versuchen wir, den Konflikt mit Radfahrern durch Fahrradspuren auf der Straße zu entschärfen. Durch Sichtbeziehungen und Markierungen lässt sich viel verbessern. Das tun wir.

Diese Spuren sind gut gemeint, aber oft sind sie schon zugeparkt, bevor die Markierungsfarbe getrocknet ist.

Stadtweit sehe ich das nicht so. Allerdings haben wir in einigen Bereichen zu wenig für den Lieferverkehr vorgesorgt. Den gibt es nun mal und er muss auch in der Nähe seiner Kunden halten können. Das müssen wir angehen und ein Konzept erarbeiten. Zum Beispiel in der Warschauer Straße wollen wir dem Lieferverkehr Platz einräumen, zugleich die Autospuren erhalten und Platz für Radfahrer schaffen. Nachts sind die Lieferparkplätze dann ganz normale Anwohnerparkplätze. Wie es jedenfalls nicht laufen sollte, zeigt die Deutsche Bahn, die in vielen Bahnhöfen Läden einrichtet, aber nicht bereit ist, einen Platz für Lieferanten einzurichten.

Stimmt, auf der Warschauer Brücke steht immer ein Lieferwagen auf der Radspur.

Außerdem blockiert der auch eine Fahrspur. Aber die Bahn sieht keinen Anlass, das beim Umbau des Bahnhofs zu berücksichtigen. Das werden wir ihr bei der Planung so nicht weiter durchgehen lassen.

Vor gut einem Jahr hat die damalige Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge- Reyer im Tagesspiegel geschrieben: „Tempo 30 in der Stadt hat nur Vorteile, keine Nachteile.“ Warum wird es dann nicht konsequent umgesetzt?

Regeln müssen auch akzeptiert werden. Tempo 30 vor Schulen wird ganz breit akzeptiert. Bei Lärmschutz als Begründung ist es schon schwieriger, und bei Tempo 30 aus Prinzip bekommen wir ein Problem. In den Wohngebieten gilt Tempo 30 auf den meisten Straßen ohnehin. Weitere Tempo-30-Zonen aus Prinzip einzurichten, ist also ein Thema, mit dem ich mich dann nicht unnötig mit der Stadtöffentlichkeit streiten muss. Auch weil wir mit zahlreichen guten Maßnahmen in den gesamten Straßen sehr viel für Verkehrssicherheit in Berlin tun.

Das Gespräch führte Stefan Jacobs.

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