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Bannstrahl aus Avignon. Papst Johannes XXII., hier eine Darstellung seiner Wahl, entstanden um 1370, erließ ein Interdikt für Berlin-Cölln. Foto: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz

© bpk

SERIE: Schuld und Sühnekreuz

Propst Nikolaus von Bernau las den Berlinern die Leviten – und wurde dafür am 16. August 1324 erschlagen. Es war ein Jahrhundertmord mit Folgen: Die Doppelstadt traf der Bannstrahl des Papstes – und legte auf lange Sicht ihren Handel lahm.

Geschichten aus Berlins Geschichte: das 14. Jahrhundert

Schlagt dem Nikolaus/alle Zähne einzeln aus!“ So könnte es gewesen sein: Hassparolen an den Stammtischen, köchelnder Volkszorn über den verabscheuten Berlin-Besucher, der sich aber nicht einschüchtern lässt, dem Volk von der Kanzel der Marienkirche die Leviten liest, ihm mit der Hölle droht, bis die Emotionen hochschäumen, Mordlust in den Augen glitzert, und der Mob zur Tat schreitet. „Erst schlug man mit Fäusten auf Nikolaus ein, dann, als er zu Boden stürzte, auch mit Knüppeln – so lange, bis er tot war. Danach verbrannte man seinen Leichnam unter großem Geschrei auf einem Scheiterhaufen.“

Die Erschlagung des Propstes Nikolaus von Bernau am 16. August 1324 war ein Jahrhundertmord. Noch fast 700 Jahre später spukt er durch wissenschaftliche Abhandlungen, wird Touristen an dem daran erinnernden Sühnekreuz vor der Marienkirche das Gruseln gelehrt. Und der mit Mordgeschichten erfahrene Autor Horst Bosetzky macht daraus die (oben zitierte) Schlüsselszene seines soeben erschienenen Historienromans „Im Unterholz“. Das Datum ist nicht ganz gesichert, teilweise wird auch das Jahr 1325 genannt. Den Tag kann man sowieso nur indirekt aus der Sühnevereinbarung zwischen Stadt und Kirche erschließen. Die Hintergründe der Tat aber, bei der Berlin zum Nebenkriegsschauplatz damaliger Weltpolitik wurde, sind weitgehend erforscht und damit auch die des etwas ramponierten Kalksteinkreuzes mitten in der Stadt.

Sagen und Legenden hatten das Mahnmal zeitweise umrankt, seine Geschichte überwuchert. Mal spielt darin ein Baumeister, der sich mit dem Teufel eingelassen haben soll, eine unrühmliche Rolle, mal – wie in Detlev von Liliencrons (1844–1909) heiterer Ballade „Das alte Steinkreuz am Neuen Markt“ – ein begnadeter Musikant, der betrunken das Kirchendach erklimmt, Gott lästert, zur Strafe („Purzel-Purzel-Purzelbaum“) herunterstürzt und doch wundersam errettet wird.

Solch ein humorvoller Blick auf die Vergangenheit ist schon deswegen historisch unangemessen, da die Bewohner der Doppelstadt und der Mark Brandenburg damals wenig zu lachen hatten. Es waren harte Zeiten, seit 1319 Markgraf Waldemar verschieden und die Herrschaft der Askanier wenig später mit dem Aussterben der Brandenburger Linie erloschen war. Das Machtvakuum suchten die Nachbarn zu nutzen, um eigene, an die Askanier verlorene Gebiete zurückzugewinnen, während im Inneren Anarchie sich breitmachte, Wegelagerer und Raubritter ihr Unwesen trieben. Und Berlin/Cölln, seit 1307 unter gemeinsamer Verwaltung und bereits bedeutendste Stadt in der Mark, wurde nun auch noch zum Austragungsort für eine erbitterte Fehde zwischen Kaiser und Papst.

1323 hatte Ludwig IV. seinen minderjährigen Sohn – er hieß ebenfalls Ludwig – mit der Mark Brandenburg belehnt, zum Missfallen des damals in Avignon residierenden Papstes Johannes XXII. Der Machtkampf – er ist der politische Hintergrund, vor dem sich auch die Geschehnisse in Umberto Ecos „Der Name der Rose“ abspielen – gipfelte 1324 in der Exkommunikation des Kaisers, die auch seinen Parteigängern in Brandenburg drohte. Dort hatte der Papst für das Amt des Markgrafen auf Rudolf von Sachsen-Wittenberg, Gegenkandidat aus einer anderen Askanier-Linie, gesetzt.

Die Bewohner der Doppelstadt aber waren mehrheitlich für ihren neuen Landesherren aus dem Hause Wittelsbach – schon deswegen, weil ihnen Ludwig I., anfangs blutjung und unter Vormundschaft stehend, die neue Herrschaft mit allerlei Privilegien und Sonderrechten zu versüßen bemüht war. Gleichwohl gab es gerade unter Kirchenleuten entschiedene Parteigänger des Papstes, etwa Propst Eberhard von Berlin und seinen Amtskollegen Nikolaus aus Bernau.

Der 16. August 1324 soll ein Markttag gewesen sein, mit vielen Fremden in der Stadt. Und Nikolaus dürfte gerade dieses Publikum, die mögliche Breitenwirkung, zu seinem Auftritt in der Marienkirche gereizt haben. Auch der ist nicht ganz verbürgt, wie ohnehin die noch am genauesten über die Bluttat berichtenden Schriftstücke aus der päpstlichen Administration das Geschehen möglicherweise parteiisch und damit verfälscht darstellen. Demnach soll Nikolaus durch eine von Patriziern aufgehetzte Meute aus dem Haus seines Amtsbruders gezerrt, erschlagen und verbrannt worden sein. Für die zurückgebliebenen Gebeine habe man sogar das Feuer ein zweites Mal entfacht.

Danach geschah erst mal nichts. Avignon lag weit weg, und die Zeiten waren ohnehin unruhig. Erst nach Jahresfrist traf der Bannstrahl des Papstes: Interdikt für Berlin-Cölln. Das bedeutete die Einstellung des kirchlichen Lebens, geschlossene Kirchen, Versagung der Sakramente, kein priesterlicher Beistand bei Beerdigungen, kurz: schlechte Aussichten fürs Seelenheil. Das muss anfangs nicht allzu schlimm gewesen sein. Es gab Ausnahmen, schon um den für die Priester essenziellen Spendenfluss nicht ganz abreißen zu lassen. Den beiden Bettelorden der Stadt, den Dominikanern in Cölln und besonders den Franziskanern im Grauen Kloster zu Berlin, blieb es ohnehin erlaubt, religiösen Beistand zu spenden und Gottesdienste zu feiern.

Aber auf Dauer wurde die Strafe zur Tortur, erwies sich als wirksames Mittel, die florierende Doppelstadt wirtschaftlich zu ruinieren. Welcher gläubige Christ wollte schon mit Leuten Handel treiben, die quasi exkommuniziert waren? Und so kroch die Bürgerschaft zu Kreuze, verhandelte, bettelte, gab sich bußfertig und vor allem zahlungsbereit. Dennoch waren erst 1345 alle Forderungen erfüllt und das Interdikt durch Clemens VI. aufgehoben.

Einen neuen Altar für St. Marien hatten die Bürger errichten müssen und eben das Sühnekreuz am Ort der Tat, an der heutigen Spandauer Straße. Erst 1727 wurde es wegen Bauarbeiten umgesetzt. Wann es die geforderte „Ewige Lampe“ verlor, von der noch fünf Löcher an der Vorderseite zeugen, ist nicht bekannt, wie ohnehin teilweise angezweifelt wurde, ob es sich wirklich um das Original handelt.

Und selbstverständlich musste die Blutschuld auch mit Barem teuer bezahlt werden, ein finanzieller Verlust, den Bosetzky den Berlinern in seinem Roman erspart: Bei ihm stammt das Geld aus einem entwendeten Kirchenschatz, den ein zeitweise unter die Räuber gefallener französischer Geistlicher, dem Papst ebenso ab- wie einer hübschen Berlinerin zugeneigt, der Stadt heimlich zukommen lässt.

Eine erfundene Heldenfigur, die zur Hauptperson wurde; ein romantisch-abenteuerlicher Nebenstrang der Handlung, der den Mord fast an den Rand drängt – für Bosetzky ist das ein Trick, „ein bisschen Hollywood“ reinzubringen in seinen Versuch, „Geschichte zu vermitteln“. Ein grundsätzliches Problem sei die richtige Mischung aus Historie und Hollywood. Wobei es ja schon die Fakten in sich haben: „Es gibt in Berlin und Brandenburg so wunderbare Stoffe.“

Da böte sich gleich eine weitere Bluttat an der Marienkirche an. Diesmal traf es einen gewissen Conrad Schütz, Geheimschreiber des 1364 in der Doppelstadt weilenden Erzbischofs von Magdeburg. Auch mit ihm machten die offenbar leicht erregbaren Berliner kurzen Prozess, schleppten ihn zum Neuen Markt und ließen ihn köpfen. Sein Vergehen: Er hatte auf der Straße an einer schönen Bürgersfrau Gefallen gefunden und sie zum gemeinsamen Besuch des nahen Badehauses eingeladen. Offenbar dachte er nicht an getrennte Zuber . . .

Horst Bosetzky: Im Unterholz. Anno 1325. Wie Berlin und Brandenburg wurden, was sie sind – Unglaubliche Geschichten aus dem Mittelalter. Jaron Verlag, Berlin. 128 Seiten; 5,95 Euro

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