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49 Prozent der Frauen erleben im Beruf "gesetzlich verbotene Situationen".

© dpa

Sexuelle Übergriffe in Berlin: Berlin ist "arm und sexistisch"

Sexuelle Übergriffe sind für viele Frauen in Berlin ein viel zu häufiges Problem. Das Vorgehen dagegen ist jedoch schwierig. Strafrechtlich sind Übergriffe oft schwer zu verfolgen. Viele Anklagen werden fallen gelassen.

Männer verfolgen Frauen auf öffentlichen Plätzen, drängen sich in der U-Bahn oder im Bus an sie heran. Hunderte Frauen haben solche sexuellen Übergriffe in Berlin schon einmal erlebt. Das geht aus Kommentaren zu einem Tagesspiegel-Beitrag in der Samstagsbeilage "Mehr Berlin" hervor, in dem eine Autorin über zunehmende Belästigungen klagt. Viele Leserinnen bestätigten, sich unsicher zu fühlen. „Berlin ist arm und sexistisch!“, schrieb eine Userin. Andere sagten, sie würden den Öffentlichen Nahverkehr nachts meiden.

Dazu passt die am Dienstag vorgestellte Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, derzufolge deutschlandweit 56 Prozent der Männer und 49 Prozent der Frauen schon einmal sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt haben. Das Problem hierbei ist allerdings die Definition von sexueller Belästigung. Nicht jeder gesetzlich verbotene Übergriff wird als solcher empfunden – und nicht jede als Übergriff empfundene Handlung ist gesetzlich verboten.

Viele Belästigungen strafrechtlich schwer zu verfolgen

So hat die Berliner Polizei in den vergangenen Jahren keinen Anstieg sexueller Übergriffe verzeichnet. Auch die Berliner Antidiskriminierungsstelle bestätigt nicht, dass Belästigungen zugenommen haben. „Viele Situationen, die Frauen oder auch Männer als bedrohlich wahrnehmen oder in denen sie sich belästigt fühlen, sind strafrechtlich nicht zu verfolgen“, erklärt ein Polizeisprecher. Der Straftatbestand „Beleidigung auf sexueller Grundlage“ treffe am ehesten auf die von der Autorin und von den Leserinnen beschriebenen Übergriffe zu. Doch nur wenn der Aggressor sein Opfer mit sexuellen Kraftausdrücken beschimpft oder an Brust oder Hintern fasst, kann die Polizei ein solches Delikt zur Anzeige bringen. In den meisten Fällen aber bleibt der Täter stumm und fasst die Frau nicht gezielt an.

Einen Anstieg von „Beleidigungen auf sexueller Grundlage“ hat die Polizei deshalb auch nicht verzeichnet: Im Jahr 2013 wurden 975 Fälle erfasst, im vergangenen Jahr waren es 931. Selbst wenn ein Mann eine Frau verfolge, kann dies laut Polizei in den seltensten Fällen zur Anzeige gebracht werden. Das geeignete Rechtsmittel wäre der Stalking-Paragraf. Der greift jedoch nur, wenn die Verfolgung länger andauert.

Anklagen werden oft aus Mangel an Beweisen fallen gelassen

Um der beschriebenen Belästigungen strafrechtlich habhaft werden zu können, müsste das Justizministerium einen neuen Straftatbestand einführen. Doch selbst wenn das geschehen würde, bliebe die Verfolgung schwierig. „Im Nachhinein sind solche Bedrohungssituationen schwer zu rekonstruieren. Hat der Mann die Frau wirklich verfolgt? Oder hatte er den gleichen Weg?“, sagt der Polizeisprecher. Schon jetzt sei es so, dass, wenn eine Anzeige aufgenommen wird, der Staatsanwalt die Anklage oft aus Mangel an Beweisen fallen lasse.

„Dass strafrechtlich oft nichts zu machen ist, bedeutet aber natürlich nicht, dass eine Frau solche Bedrohungssituationen ertragen muss“, stellt der Polizeisprecher klar. Fühle man sich aktuell bedroht, könne man jederzeit die Polizei rufen. Noch wichtiger sei allerdings, sich in der konkreten Situation selbst zu verteidigen. Christian Zorn von der Zentralstelle für Prävention der Berliner Polizei rät, sofort die Öffentlichkeit zu suchen, wenn man sich bedrängt fühlt. „Menschen, die Enge oder auch Leere ausnutzen, um Grenzen zu überschreiten, lassen meist sofort ab, wenn sie in den Fokus der Mitmenschen rücken.“

Wegsehen ist das Schlimmste

Sinnvoll sei es, die Situation laut zu beschreiben, zum Beispiel könne man sagen: „Drängeln Sie sich nicht so an mich heran, das ist mir unangenehm!“ oder „Nehmen Sie die Hand von meinem Knie, ich kenne Sie nicht!“

Zorn rät, in schwierigen Situationen an jemanden zu denken, der einem Mut macht. Das Schlechteste sei, schamhaft wegzusehen. „Das suggeriert dem Aggressor, dass er freie Bahn hat.“ Generell gilt: „Solche Männer suchen ein Opfer, keine Gegner. Je mehr Selbstsicherheit man zeigt, desto unattraktiver wird man für den Pöbler.“

In Ägypten können Frauen und Männer übrigens seit Dezember 2010 auf einer unabhängigen Webseite, der HarassMap, melden, wann, wo und wie sie sexuell belästigt worden sind. Die Initiatoren haben die Seite gegründet, "weil die ägyptischen Gesellschaft immer toleranter gegenüber sexuellen Übergriffen ist." Mit der Datensammlung soll das Thema enttabuisiert, Aggressoren sollen entmutigt werden. Vielleicht braucht Berlin auch eine HarassMap?

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