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Ärger für Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne): Wegen der Überlastung der Gerichte wurde ein mutmaßlicher Sexualstraftäter aus der Haft entlassen.

© DAVIDS

Update

Sexueller Missbrauch: Kritik an Senator wegen Entlassung eines Verdächtigen

Steht die Justiz vor einem "Kollaps"? Der Fall eines aus der U-Haft Entlassenen wirft Fragen auf. Er wird verdächtigt, Kinder missbraucht zu haben.

Nach der Entlassung eines wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch an Kindern inhaftierten Mannes tobt ein Streit über die Ausstattung der Justizbehörden der Hauptstadt. Während die Opposition Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) scharf kritisiert und von einem "Kollaps der Strafjustiz" spricht, verteidigt sich Behrendt mit dem Hinweis auf Versäumnisse der Vergangenheit und die eingeleitete "Kehrtwende", die bereits heute zu einer Verbesserung der Situation führe. Den Verdächtigen, der sich an zwei ihm anvertrauten Kindern sexuell vergangen haben soll, erwartet am kommenden Mittwoch (20. März) der Prozess. Er wurde aus der Untersuchungshaft entlassen, weil die vorgegebene Frist von sechs Monaten zwischen Inhaftierung und Gerichtsverfahren abgelaufen war. Zuerst hatte die "Berliner Zeitung" über den Fall berichtet.

CDU: "ideologische Scheuklappen oder Desinteresse"

Für die CDU-Fraktion erklärte Sven Rissmann, rechtspolitischer Sprecher seiner Fraktion, der Fall mache ihn "fassungslos". "Das ist ein verheerendes Signal. Hier muss man von einem Kollaps unserer Strafjustiz sprechen", sagte Rissmann weiter und mutmaßte, dieser Fall stelle "nur die Spitze des Eisberges dar". Seit langem sei bekannt, "dass insbesondere die Strafjustiz personell und sachlich verstärkt werden muss", erklärte Rissmann. Er bot an, Behrendt bei der Stärkung der Justiz in den Verhandlungen für den Doppelhaushalt 2020/2021 zu unterstützen. Dass dieser bislang nicht auf ähnliche, bereits in der Vergangenheit geäußerte Angebote eingegangen sei, könne er sich nur durch "ideologische Scheuklappen oder Desinteresse" erklären, sagte Rissmann.

Holger Krestel, rechtspolitischer Sprecher der FDP, sprach angesichts der am Montag angeordneten Entlassung des Verdächtigen aus der Untersuchungshaft von einem "schlimmen Fall, der auf tragische Art den schleichenden Verfall der Strafrechtspflege in Berlin dokumentiert". Krestel nannte es "politisch unvertretbar", mit welcher "Beharrlichkeit sich Behrendt Randthemen widmet" und bezog sich damit unter anderem auf die Behandlung von Sicherungsverwahrten. In der vergangenen Woche war ein Gefangener der Sicherungsverwahrung nach dem ihm gewährten unbegleiteten Freigang nicht wieder in die Justizvollzugsanstalt Tegel zurückgekommen - der Mann wurde zwei Tage später in Magdeburg gefasst. Dieser Fall hatte bereits am vergangenen Donnerstag im Abgeordnetenhaus für Kritik an Behrendt gesorgt. Krestel warf ihm vor, "täterfixiert" zu arbeiten, statt sich auf die eigentlichen Aufgaben zu konzentrieren.

Vorwurf: Missbrauch in 51 Fällen

Während Behrendt selbst am Dienstag nach der Senatspressekonferenz von einem "Rückschlag" sprach und die Verantwortung für Versäumnisse vergangener Regierungen von sich wies, listete sein Sprecher in einer ausführlichen Antwort die Erfolge des grünen Justizsenators auf. Dieser habe "mit Amtsübernahme eine Kehrtwende eingeleitet" und im Doppelhaushalt 2018/19 der Berliner Justiz mit 247 neuen Stellen "den größten Personalaufwuchs seit der Wiedervereinigung beschert". Außerdem seien in den Jahren 2017 und 2018 rund 1100 Mitarbeitende in der Berliner Justiz eingestellt worden. Hinzu kamen 121 Richter und 45 Staatsanwälte. Die Zahl der Strafkammern am Landgericht wuchs demnach von 52 auf 66, auch wenn deren Besetzung zum Teil noch laufe.

Im vorliegenden Fall handelt es sich um einen nicht vorbestraften Verdächtigen, dem der sexuelle Missbrauch von zwei ihm durch die Familie anvertrauten Kindern in 51 Fällen vorgeworfen wird. Der Mann, der darüber hinaus wegen der Anfertigung von Filmaufnahmen angeklagt wurde, war am 29. August 2018 verhaftet worden, die Anklage datiert vom 24. Oktober. Weil der festgesetzte Gerichtstermin mehr als sechs Monate nach der Inhaftierung liegt und damit die gesetzlichen Frist von sechs Monaten überschritten wurde, ordnete das Kammergericht am Montag die Freilassung an. Ihre Entscheidung hatten die Richter Tagesspiegel-Informationen zufolge damit begründet, dass die offenkundige Überlastung der zuständigen Jugendstrafkammern eine Fortsetzung der Untersuchungshaft nicht rechtfertige. (mit Sabine Beikler)

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