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Sicherheitsrisiko bei der Bahn: Auf Sand gebremst

Zu wenig ist gefährlich, zu viel aber auch: Das Eisenbahn-Bundesamt warnt, dass der Bremssand von Zügen die Sicherheitstechnik lahmlegen kann. In Potsdam fiel das auf, bevor Schlimmeres passierte.

Berlin/Potsdam - Vorausschauend fahren und sanft bremsen: Was nach Spritspartraining klingt, gilt neuerdings auch für Lokführer und die Fahrer der Berliner S-Bahn. Der Grund dafür ist dramatisch: Bei der Untersuchung mehrerer Unfälle und gefährlicher Vorkommnisse aus vergangenen Jahren hat das Eisenbahnbundesamt (EBA) herausgefunden, dass der von Zügen gestreute Bremssand die Sicherungstechnik der Bahn überlisten kann. Die Sensoren erkennen möglicherweise nicht mehr, wenn ein Gleis besetzt ist. Würde wegen einer solchen Fehlmeldung ein weiterer Zug auf denselben Gleisabschnitt gelassen, wäre schlimmstenfalls „mit einer Vielzahl an Toten und Verletzten zu rechnen“, schreibt das EBA. Auf Anordnung der Behörde mussten deshalb alle Bahnunternehmen ihre Lokführer anweisen, bei kurzen Zügen und Geschwindigkeiten unter 25 km/h möglichst ohne Nutzung des Sandes zu bremsen.

Die Behörde hat insbesondere ein Zugunglück vom November 2008 untersucht, bei dem in Nordrhein-Westfalen ein Zug mit Tempo 80 auf eine stehende Lok krachte. Zwei Menschen wurden schwer verletzt. Bei diesem und mindestens fünf weiteren, allerdings glimpflicher verlaufenen Vorfällen zeigte sich, dass die Loks zuvor Sand auf die teilweise nassen oder schmierigen Gleise gestreut hatten, um besser bremsen zu können. Durch die Körnchen ging offenbar der direkte Kontakt zwischen Rad und Schiene verloren, so dass die Elektronik die Anwesenheit des Zuges nicht mehr erkannte – und das Gleis als „frei“ meldete.

Am 5. November 2010 war nach Auskunft der Bahn im Potsdamer Hauptbahnhof ein Regionalzug auf genau diese Weise „versandet“, weil durch ein kaputtes Ventil zu viel Sand auf die Schiene rieselte. Der Fahrdienstleiter im Stellwerk bemerkte den Fehler, bevor Schlimmeres passieren konnte – und die DB-Tochter Regio Nordost gab bereits damals eine Anweisung an ihre Lokführer zwischen Ostsee und Lausitz heraus, die der jetzt vom EBA erlassenen Allgemeinverfügung entspricht.

Die Berliner S-Bahn war damals noch nicht betroffen, muss aber jetzt ebenfalls die Weisung des EBA beachten. Bei ihr ist Bremssand bekanntlich ein eigenes Kapitel: Nachdem im vorletzten Winter die Sandstreueinrichtungen an den Zügen der neuesten Baureihe 481 eingefroren waren, durften die Züge wegen konstruktionsbedingt schwacher Bremsen nur noch Tempo 60 fahren. Die Folgen waren Chaos, ein Schleichfahrplan – und schließlich die aufwendige Entwicklung einer Heizung für die Sandrohre. Weil sich nach dem Unfall vom Südkreuz Ende 2006 mit 33 Verletzten herausgestellt hatte, dass die Sandbehälter der auf einen Messzug aufgefahrenen S 25 praktisch leer waren und unter dem alten Management offenbar systematisch bei den Sandkontrollen geschlampt wurde, ließ die S-Bahn auch noch automatische Füllstandsprüfer einbauen.

Nach Auskunft eines Bahnsprechers können die Fahrer den Sand manuell streuen, um besser anfahren oder bremsen zu können. Bei Notbremsungen oder bei blockierenden Rädern werde er automatisch ausgeschüttet.

Wobei ausgerechnet die häufigste Baureihe 481 stärker zum Blockieren neigt als andere. Von den in den 1980ern für die BVG konstruierten Züge der Baureihe 480 ist davon nichts bekannt, und die kürzlich zur Linderung des Wagenmangels wiederbelebte DDR-Baureihe 485 („Coladose“) kommt ganz ohne Sand aus. Nach Tagesspiegel-Informationen wäre S-Bahn-Chef Peter Buchner diese wartungsarme Variante auch für künftige neue Fahrzeuge die liebste.

Sollten die Fahrer doch Sand streuen, müssen sie das nun sofort ins Stellwerk melden, damit keine Irrtümer entstehen können. Nach Auskunft eines Bahnsprechers wirken sich die Vorschriften aber nicht auf den Betrieb aus, „auch nicht bei problematischen Wetterverhältnissen“.

Sand als Brems- und Anfahrhilfe ist bei Schienenfahrzeugen weltweit üblich. Auch die Straßenbahnen der BVG haben ihn an Bord – in einem Behälter gut sichtbar unter den Sitzen.

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