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Berlin: Sie werden nicht platziert

Das Interesse von Touristen und Berlinern ist riesengroß – doch das Land tut bisher nichts für ein DDR-Museum

Vor dem Eingang steht ein Blaulichtwagen der Volkspolizei Marke Shiguli. Man kann ihn mieten, den Genossen Kommissar mimen und Polizeiruf 110 spielen. In dem Flachbau Gertrud-Kolmar-Straße 14, in der Mitte der Touristenmeile zwischen Holocaustmahnmal und Führerbunkergelände, finden sich die nächsten Absonderlichkeiten. Abgegriffene alte Zeitschriften, Gasmasken, tristes Mobilar, eine Tischdecke aus rotem Samt mit Lenins Halbglatze im Mittelpunkt, trauriges Konsum-Interieur, Pflaumenmus, Karo-Zigaretten, Bierhumpen vom BFC Dynamo, VP-Orden, seltsame Stationen bei dieser „Zeitreise durch die DDR“, einer arg zusammengestümperten Ausstellung, in der der verwunderte Betrachter „einen untergegangenen Staat“ kennenlernen soll. Das Beste in dieser merkwürdigen DDR-live-Schau ist noch das Eintrittskärtchen mit einem „Hunni“ auf der Rückseite, dem 100-Mark-Schein der Staatsbank mit dem bärtigen Karl Marx.

Der hatte mal davon gesprochen, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt – das DDR-Sein von gestern scheint das Bewusstsein der Moneymaker von heute geweckt zu haben. Auch nach den 20-Jahr-Feiern zum Ende der DDR und erst recht jetzt, 2011, wenn Berlin des Mauerbaus von 1961 gedenkt, scheint das 28 Jahre lang eingezäunte Drittel Deutschland mit allem Drin, Drum und Dran hoch spannend und interessant zu sein. Die DDR-Erinnerung sprießt auf manche Weise, nicht nur in den Souvenirläden, in Hotels, wo Erich H. überm Bett das Nachtleben der anderen beobachtet, in nervtötend langweiligen MDR-Humor-Musik-Nostalgieshows oder im RBB, der jüngst „zwischen Frühstück und Gänsebraten“ lauter inzwischen verstorbene Akteure auf den Bildschirm zurückholte. Nur die Toten bleiben jung, schrieb schon Anna Seghers. Das gilt nicht nur für Personen, sondern auch für einen ganzen, von Menschen erfüllten Staat.

Vor einem S-Bahn-Bogen am Alex steht einsam eine knallrote „Schwalbe“ im Schnee: Der pfiffige Motorroller lenkt die Besucher in das „1. Berliner DDR-Motorrad-Museum“ mit über 100 Zweirädern in zwei Etagen, „nahezu alle Modelle aus 40 Jahren DDR“. Nebenan, im Berlin-Carré, heißt „Ost-Paket“ seine Kunden willkommen. Die ganze aufpolierte Warenwelt von einst in frischer Emballage zieht die Leute magisch an. Hier schmeckt, sieht und riecht man dieses „Es war nicht alles schlecht“. Der Nostalgie-Wein „Rosenthaler Kadarka“ holt plötzlich Geschichten von Wein, Weib und Gesang aus weiter Ferne zurück, dazu dudelt die Musik von Chris Doerck aus dem Film „Heißer Sommer“, „Oberlausitzer Schokobecher“ warten auf ihren Eierlikör, „alles wie früher!“ schwärmt eine Kundin und schwenkt den Einkaufsbeutel. Und zum Jubiläum 50 Jahre antifaschistischer Schutzwall passend gibt es eine Postkarte mit dem Spruch: „Die BRD war schlauer, das Geld ist jetzt die Mauer“.

Ein Höhepunkt (n)ostalgischen Schaffens ist die kulinarische Erinnerungsstätte Domklause, das „DDR-Restaurant“ in der Karl-Liebknecht-Straße 1. Der Souschef der früheren Domklause im früheren Palasthotel kocht alte Rezepte mit neuen Zutaten. Die Speisekarte ist ein Aufklärungsbüchlein über kulinarische DDR-Probleme – etwa das Desaster, als die SED aus Devisenmangel einen Mischkaffee erfand, den das Volk „Erichs Krönung“ nannte und so heftig maulte, dass der Muckefuck bald wieder verschwand. All dies bekommt man unter der Losung „Sie werden plaziert“ serviert.

Daneben im DDR-Museum ist die ganze Pracht der Arbeiter-und-Mauern- Macht zu erleben: Über 400 000 Besucher kamen 2010 zur „Geschichte zum Anfassen“, von Jahr zu Jahr steigt die Besucherzahl, das Gästebuch strotzt vor Lobeshymnen über diese so spannende wie objektive und authentische Präsentation der verschiedenen Lebensbereiche in der DDR. „Voll toll“ schreibt jemand, vor allem voll ist es – 40 Jahre DDR, die die meisten von uns noch bei vollem Bewusstsein erlebt und die mehrere Generationen geprägt haben – sollte man die nicht in einem größeren Rahmen und Zusammenhang mit all ihren Höhen und Tiefen sicht- und erlebbar machen? Die DDR braucht keine Patchwork-Darstellung, solch jung-historisches Leipziger Allerlei, sondern einen repräsentativen Rahmen. Schlicht: ein größeres Museum. Das alles präsentiert, erläutert und erklärt, was zwischen Mauer und Stasi liegt. Die objektive Wahrheit eines Landes, in dem man 40 Jahre lang gelebt, geliebt, gerackert, geweint und gelacht hat.

Was sagt die Politik? Der Berliner Senat plant immerhin den Bau eines Museums über die Zeit des Kalten Krieges – schon seit Jahren, ohne dass es recht vorankommt. Als Standort komme der Checkpoint Charlie in der Friedrichstraße infrage, sagte jetzt Kulturstaatssekretär André Schmitz. Der frühere Berliner Grenzübergang sei „der international bekannteste Ort der Berliner Mauer“ und deshalb geeignet für die Darstellung des einstigen Ost-West-Konflikts. Ein privater Investor wolle das Bauvorhaben auf einer Fläche von 3000 Quadratmetern stemmen. Die Stadt wird nach Angaben Schmitzs Räume für die Ausstellung anmieten. Eine Eröffnung sei 2014 oder 2015 möglich. Am Checkpoint Charlie, wo jährlich fast 900 000 Besucher gezählt werden, erinnert bislang nur eine Bildergalerie an die Teilung der Stadt.

Und die DDR-Geschichte? Thorsten Wöhlert von der Kulturverwaltung des Senats meint, dass sich die Nachgeborenen der Mühe unterziehen müssten, die Vergangenheit museal aufzuarbeiten, aber dies sei keine Berliner Angelegenheit, „Berlin ist nicht der Rechtsnachfolger der DDR; wenn, dann müsse man den Bund fragen“. Der favorisiert das Bonner Haus der Geschichte und dessen Leipziger Filialbetrieb, aber natürlich gehört ein großes DDR-Museum in die Hauptstadt. Das Deutsche Historische Museum hat riesige Bestände, die offizielle Hinterlassenschaft der DDR, die politische Ikonografie, Gemälde, Reste vom Palast der Republik, Kunstwerke, Alltagsgegenstände. Der Staat habe durchaus die Aufgabe, ein Museum über eine abgeschlossene Geschichte auf den Weg zu bringen, meint DHM-Generaldirektor Hans Ottomeyer, viele Besucher im Haus Unter den Linden vermissten eine Darstellung der DDR. In Haselhorst lagern übrigens noch 80 000 Designgegenstände, sie allein könnten ein Museum füllen. Aber wo? Im einstigen Staatsratsgebäude? Im Kronprinzenpalais? In einem Neubau? Vielleicht im Schloss? Und dann ist da noch dieses inhaltliche Problem: Jeder hat eine andere DDR erlebt – seine eigene. Wie kann man das alles zeigen?

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