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Für viele Flüchtlinge ist es das erste Silvester in Deutschland.

© imago/Eibner

Silvester in Berlin: Wie Flüchtlinge Silvester feiern

Für einige Flüchtlinge ist es das erste Silvester in Deutschland, andere feiern schon zum zweiten Mal. Können Raketen und Knaller zum Problem werden?

"Feuerwerk? Das kenne ich nur aus Videos", sagt Monir Madi. Der 32-jährige Palästinenser sitzt im Café auf dem Gelände der Flüchtlingsunterkunft am Tempelhofer Flughafen. Vor ihm liegt eine aufgeschlagene deutsche Zeitung, er übt, sie zu lesen. Madi spricht gebrochen deutsch, kommt aus Gaza-Stadt, hat dort nie Silvester gefeiert. Denn er ist Moslem, und für Muslime hat Silvester keine Bedeutung. Für sie gibt es nur zwei Feste im Jahr: Das Opferfest und das Fest zum Fastenbrechen. Wie er das neue Jahr in Deutschland beginnt? "Ich habe mir zu Silvester noch keine Gedanken gemacht, aber es wird bestimmt schön", sagt Monir Madi. "Schließlich ist es eine Party und alle sind fröhlich." Angst oder ein komisches Gefühl wegen den lauten Raketen und Böllern habe er nicht.

Laute Geräusche können bei Traumatisierten Erinnerungen wecken

Dass die Knallerei bei geflüchteten Menschen traumatische Erinnerungen wecken könne, wird oft befürchtet. Sie sind vor Terror und Bomben geflohen. Viele Mitarbeiter von Flüchtlingsunterkünften bereiten die Bewohner deshalb auf Silvester vor. Susan Hermenau hat mehrere Jahre in einem Flüchtlingsheim in der Mühlenstraße in Pankow gearbeitet und erzählt, wie ihr Heim mit der Situation umgeht. "Wir haben psychologische Hilfe angeboten und die Geflüchteten aufgeklärt, was an Silvester auf sie zukommt." Im letzten Jahr sei alles problemlos verlaufen, dennoch habe man in den vergangenen Tagen wieder viel Aufklärung betrieben. Aushänge an Türen und Wänden informieren die Bewohner. "Ein Feuerwerk am 31.12.2016 ab Mitternacht ist normal und ungefährlich, zur Begrüßung des neuen Jahres werden laute Knaller und bunte Feuerwerkskörper am Boden gezündet oder in den Himmel geschossen", steht beispielsweise in fünf Sprachen auf einem Zettel. Außerdem wird den Bewohnern darauf empfohlen, Fenster und Türen geschlossen zu halten.

Wird ein traumatisches Erlebnis in Erinnerung gerufen, wissen Personen oft nicht mehr wo sie sind

"Bei Menschen mit Traumafolge-Störung kann es an Tagen wie Silvester zu Problemen kommen", sagt Maggie Schauer von der Universität Konstanz. "Wenn die Betroffenen Angst bekommen, können sie den Kontext, in dem etwas passiert, manchmal plötzlich nicht mehr einordnen", erklärt die Psychologin und Leiterin des Kompetenzzentrums Psychotraumatologie an der Universität Konstanz. So könne es vorkommen, dass jemand zunächst ganz fröhlich und vergnügt Silvester feiert. Dies gehe so lange gut, bis ein Knall zu hören ist, der ihn an eine Situation im Krieg erinnert. "Sofort vergisst er, wo er sich gerade befindet. Alte Erinnerungen, die er mit diesem Knall verbindet, kommen hoch." Es sei aber sinnvoll, sich dieser Situation zu stellen, sagt Schauer. Man solle aber unbedingt eine vertraute Person an der Seite haben, die einen beruhigen und einen sogenannten "Realitätscheck" machen kann.

Nicht allen ist nach Feiern zumute

Anders als Monir Madi, der dieses Jahr zum ersten Mal Silvester in Deutschland erlebt, ist Mahmoud Almatar schon zum zweiten Mal dabei. Seine Heimat Idlib, eine Stadt im Nordwesten Syriens, hat er bereits vor drei Jahren verlassen. Nach einem Aufenthalt in Tokio, kam er im Juni vergangenen Jahres nach Deutschland. Bei ihm zu Hause wurde schon in Syrien Silvester gefeiert, er erinnert sich gut: "Wir haben gemeinsam mit der Familie gegessen. Es gab Grillfleisch", sagt der 25-Jährige Mahmoud Almatar. "Später sind wir zu unseren Großeltern gegangen." Auch Geschenke und ein Feuerwerk habe es gegeben.
Auch er betont: "Vor dem Feuerwerk habe ich keine Angst, Bomben im Krieg und Silvester-Feuerwerk kann ich gut unterscheiden." Almatars Eltern leben noch in Syrien, mitten im Krieg. Für sie gebe es keinen Grund, das vergangene Jahr zu feiern. "Jeden Tag wird ihr Haus und das ihrer Nachbarn bombardiert." Unter den Toten gebe es fast immer jemanden, den sie kennen oder mit dem sie verwandt sind. „Assad feiert jeden Tag“, sagt Mahmoud Almatar und lacht bitter.

Ronja Straub

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