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Berlin: Smalltalk und Luftküsschen: Keine Wiedervereinigung in der Glamour-Society

Kati Witt bei der Filmpreisverleihung ist eine Ausnahme: Äußerlich eine glanzvolle Erscheinung, aber wenn es darum geht, Fragen zu beantworten, gibt sie sich ganz unprätentiös und natürlich. Niemand käme darauf, dass sie zu einer Minderheit gehört.

Kati Witt bei der Filmpreisverleihung ist eine Ausnahme: Äußerlich eine glanzvolle Erscheinung, aber wenn es darum geht, Fragen zu beantworten, gibt sie sich ganz unprätentiös und natürlich. Niemand käme darauf, dass sie zu einer Minderheit gehört. Ob großer Ball, Benefizgala oder Diplomatenempfang: Seit Mitte der 90er Jahre erlebt Berlin immer neue Glamour-Schübe. Eine Gruppe taucht allerdings nur in Einzelfällen auf: diejenigen, die auch in der DDR schon einen bekannten Namen hatten. Im gehobenen gesellschaftlichen Leben scheint die Wiedervereinigung in den Kinderschuhen stecken geblieben zu sein. Woran liegt das?

Vor dem Fall der Mauer herrschte in beiden Teilen der Stadt ein eher verhaltenes gesellschaftliches Leben. In Ost-Berlin traf man sich zu Brigadefeten, Betriebsfeiern oder großen Veranstaltungen, letzteres aber weniger, um Smalltalk zu machen, sondern eher, um Lieder zu singen und Ansprachen zu hören. Ansonsten kam man lieber in kleinen Kreisen zusammen, schon weil man sonst nicht wusste, mit wem man es zu tun hatte, und ob man offen reden konnte. Künstler und Wissenschaftler trafen sich in der Kantine des Berliner Ensembles, im Restaurant vom Deutschen Theater, in den Künstlerlokalen Offenbach-Stuben und Ganymed oder in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland, die immer bemüht war, Künstler (Ost) mit Künstlern (West) zusammenzubringen.

Repräsentative Bälle, auch zum Beispiel ein Presseball, wurden von den Parteikadern als "westlich" und "bürgerlich" abgelehnt. Kulturelle Veranstaltungen galten vielen als Höhepunkte gesellschaftlichen Lebens, und zu Theaterbesuchen putzte man sich heraus.

Auch im Westteil der Stadt traf man sich über kulturelle Schienen; die Freundeskreise von Nationalgalerie oder Philharmonie gaben einen angemessenen Hintergrund fürs fortgeschrittene Networking. Das, was man gemeinhin als "gesellschaftliches Leben" bezeichnet, wurde allerdings dominiert von den westlichen Alliierten. Deren Dances und Dinners gaben den anerkannten Rahmen für die festlichen Zusammenkünfte der Opinion Leader und Entscheidungsträger. Einmal im Jahr markierte der Presseball den Höhepunkt der Saison und versammelte tout Berlin (West) im ICC.

Bescheidenheit war eine Tugend

Nach der Wiedervereinigung kamen nach und nach Künstler und Geschäftsleute aus anderen Zentren zurück. Die Abwanderung, die die Stadt in den Jahren nach dem Mauerbau verkraften musste, schwappte nun, verjüngt gewissermaßen, in die andere Richtung. Dieser Zustrom brachte einen nicht enden wollenden Reigen von Galas und Partys mit sich; die Spaßgesellschaft ist nirgendwo so in ihrem Element wie in Berlin, man könnte auch sagen: auf Deutschlands größtem Abenteuerspielplatz.

Besonders seit dem Regierungsumzug vor einem Jahr sind die Rampenlichter gleißend aufgeflammt. Der bedauernswerte Mangel an Größen aus dem alten Ost-Berlin, den sie offenbaren, liegt natürlich auch daran, dass diejenigen, die in der DDR eine Rolle spielten, keinen Anlass sehen, eine Rolle in der Glamour Society des neuen Berlin zu übernehmen. Diejenigen, die im Sozialismus mitmischten, hatten zwar ähnliche Techniken entwickelt, aber sie kommen in der neuen Gesellschaft kaum vor. Manfred Wekwerth etwa, der langjährige Chef vom Berliner Ensemble und Präsident der Akademie der Künste, hat sich ganz aufs Inszenieren und Schreiben zurückgezogen.

Einige Stars des früheren Ost-Berlin gibt es, die gelegentlich auftauchen dort, wo es glitzert und die Musik der neuen Zeit spielt. Henry Maske gehört dazu, Katharina Witt, Franziska van Almsick, Wolfgang Thierse, Wolfgang Lippert, Nina Hagen, Carmen Nebel, Dagmar Frederic, Tino Schwierzina, Jochen Kowalski. Dass es nicht mehr sind, hat verschiedene Ursachen. In der DDR war Bescheidenheit eine größere Tugend, Selbstinszenierung stand gar nicht auf der Agenda, der Rückzug in Nischen viel eher. "Um sich bei großen Ereignissen wirklich bewegen zu können, muss man in der Tradition groß geworden sein, wir haben es einfach nicht von Kindesbeinen an gelernt", erklärt der SPD-Bundestagsabgeordnete Rainer Fornahl aus Leipzig. Zur Vorbereitung auf die Spaß- und Glamourgesellschaft taugte der Arbeiter- und Bauernstaat überhaupt nicht.

Um Nächte voller Smalltalk und Luftküsschen durchzustehen, benötigt man auch eine dehnbare Toleranzschwelle für Oberflächlichkeiten. Die Protagonisten des neuen Berlin brauchen Ellbogen und eine mit der Muttermilch aufgesogene Lust an der Selbstinszenierung. Bei den Nischentreffs ging es dagegen eher ernsthaft zur Sache. Aus Karrieregründen musste sich niemand auf Partys tummeln, um neue Bande anzuknüpfen. Die stabilisierende Wirkung von Netzwerken sei schlicht unbekannt gewesen, hat der Chef der Brandenburgischen Sommerkonzerte, Werner Martin, beobachtet.

"Kein Wunder, die kennt ja keiner, die fallen einfach durch den Rost", lautet eine These, die man gelegentlich auf West-Events hört. Die Veranstalterin Birgit Stegmeier hingegen glaubt eine gewisse Scheu vor der Teilnahme beobachtet zu haben. "Auf unseren Gästelisten stehen sie schon, aber manchmal kommen sie einfach nicht." Das würde für Fornahls Annahme sprechen, dass man von früh auf gelernt haben muss, sich auf gesellschaftlichem Terrain wohl zu fühlen. Reine Trainingssache.

Bei Heimspielen ist das anders. Als in der letzten Woche die Zeitschrift Superillu zum Geburtstagsfest lud, waren Kulissen und Büfetts ähnlich wie bei der Focus-Party, aber die Stimmung war völlig anders: familiär, unprätentiös, ausgelassen. Chefredakteur Jochen Wolff, der dieses Blatt seit knapp zehn Jahren zu einer Stimme des Ostens modelliert hat, macht für den Erfolg unter anderem seine "bayerische Ehrlichkeit" verantwortlich. Gleichzeitig appelliert er immer wieder an das Patente in den Menschen. Patent ist so ziemlich das Gegenteil von chichi. Bis die Sozialisation der Ossis auch in der Glamour-Society abgeschlossen ist, braucht es mindestens eine Generation. Ob man aber wirklich wünschen soll, dass Smalltalk, Ellbogengebrauch und manisches Networking sich weiter ausbreiten? Je tiefer das Wort Wiedervereinigung in die Geschichtsbücher versinkt, so steht zu fürchten, desto oberflächlicher wird die gesamtdeutsche Glamour-Society. Das mag gerechter aussehen. Ob es wirklich besser ist, bleibt abzuwarten.

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