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© Henning Onken

Smartphones: Mit dem Ghetto-Radar sicher durch Berlin

Wer in London sein Smartphone dabei hat, kann Schlägern und Dieben ausweichen. Das suggeriert eine "App", die es auch für Berlin geben könnte. Dann werden mehr Menschen lieber angstfrei in ihrem Wohlfühlkiez bleiben, als sich einmal am Kottbusser Tor umzusehen.

Eine Frau mit Rollkoffer steigt am Alexanderplatz in die U8. Unsicher studiert sie den Fahrplan über der Tür und mustert die Fahrgäste. Ihr Blick bleibt an einem Jugendlichen hängen, der breitbeinig auf einer Bank sitzt und Kaugummi kaut. Als der Zug anfährt, zieht die etwa 40-Jährige ein Handy aus dem Mantel. Ihre Stirn legt sich in Falten, während sie die Zahlen auf dem Display liest. Nervös zieht sie den Koffer näher an sich heran und verlässt an der Jannowitzbrücke überstürzt die Bahn.

Nein, es war keine gute Idee, ein Hotelzimmer in Kreuzberg zu buchen. Warum ist sie nicht gleich darauf gekommen, diesen cleveren Index für antisoziales Verhalten zu prüfen? Mit hoher Wahrscheinlichkeit wären ihr auf dem Weg vom Tagungsort zum Hotel Drogendealer, Schläger und Diebe begegnet, sicherlich lauerten ihr einige bereits in der Bahn auf.

So fallen Entscheidungen bei der Suche nach Hotels, Wohnungen und Restaurants. Noch nicht heute, aber spätestens dann, wenn ein eifriger TU-Student Berliner Polizeidaten über einen längeren Zeitraum sammelt, in Excel-Tabellen überträgt, nach Postleitzahlen sortiert und eine Smartphone-Anwendung damit füttert.

Problemkiezbewohner bleiben unter sich

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So misst das "Asborometer" in London antisoziales Verhalten -

© Promo

In Großbritannien hat eine solche Anwendung die iPhone-Charts gestürmt. Das "Asborometer" zeigt dem Nutzer auf seinem Android- oder Apple-Smartphone Polizeistatistiken über antisoziales Verhalten am aktuellen Standort an. Grundlage sind die öffentlich einsehbaren "Anti-Social-Behaviour-Orders", die alltägliche Kriminalität wie Vandalismus, Diebstahl oder Drogenverkauf ahnden.

Angesichts von mehr als vier Millionen Überwachungskameras macht sich in England kaum jemand Gedanken über Anwendungen für Mobiltelefone. Was aber können solche persönlichen Radargeräte sozialer Verwerfungen für Viertel bedeuten, die sich als Brennpunkt erweisen? Wer kann, macht einen Bogen um diese Gegenden. Geht woanders essen, feiern oder einkaufen. Wer dort lebt, rückt noch weiter an den Rand der Gesellschaft und bleibt unter sich. In einer Stadt wie Berlin wird es mehr Menschen geben, die nicht wissen wie es am Kottbusser Tor aussieht. Menschen, die zehn Jahre in der Hauptstadt leben, aber nur den berechenbaren Bewegungsmustern von Touristen folgen, die Museen und Denkmäler abklappern.

Menschen mit Radar-Apps werden lieber ohne Angst in Steglitz leben, als einen Sonnenuntergang im Görlitzer Park zu erleben. Sie werden mich nie besuchen, weil ihr Telefon auch meine Straße für einen Kriminalitätsschwerpunkt hält, der Hundehaufen wegen. Willkommen im Ghetto!

Ein Beitrag des Tagesspiegel-Weblogs www.fensterzumhof.eu

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