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Berlin: SMS-Kultur: Liebe auf Knopfdruck

M. hat es höchstwahrscheinlich gut.

M. hat es höchstwahrscheinlich gut. Der muss nicht im völlig überfüllten, neu eröffneten C&A am Kurfürstendamm nach Schnäppchen wühlen oder anstehen, um einen Zettel auszufüllen, mit dem man einen 5000-Mark-Einkaufsgutschein gewinnen kann. M. befindet sich nämlich gerade in Singapur, "auf der anderen Seite der Welt", wie er dort in sein Handy getippt hat. Dank SMS-Technik erscheint seine Nachricht an eine gewisse Katharina auf der riesigen Videoleinwand am neuen Kaufhaus. Er vermisst seine Katharina und denkt an sie, der arme, einsame M. Und tausende Berliner wissen das jetzt - dank der Werbestrategen von C&A. Werden Liebesschwüre größer, besser und ernster, wenn man sie öffentlich macht? Auf einer blöden Videowand? Ist es nicht vielleicht romantischer, "C&A=große Liebe" in eine Baumrinde zu ritzen? Scheinbar nicht. Lauter Hasenzähne, Bärchen, Igelchen und sonstige Kleintiere haben offenbar, schier platzend vor Liebe zueinander, zeitgleich zum Funktelefon gegriffen und "gesimst" - ein schreckliches Wort für die zeitraubende Zeichenübermittlung mit Hilfe des allseits so beliebten "Short Message Service". Doch die Liebesbotschaft erscheint diesmal nicht wie sonst nur auf Hasenzähnchens Display, sondern überlebensgroß gegenüber vom Kranzler Eck.

Auch die "Lätta-Maus aus Westend" ist bis über beide Spitzöhrchen verliebt - offenbar in eine Sahneschnitte aus Mitte. Denn die "Lätta-Maus", so teilt sie der Weltöffentlichkeit mit, will mal wieder im Regierungsbezirk frühstücken. Wild! Das sind die Träume der Westend-Girls. Und irgendeiner Dietlinde muss am Montag- morgen gegen zehn Uhr das wohlverdiente Stückchen Donauwelle mit extra Sahne im Hals stecken geblieben sein - irgendeine der zahllosen dicken Kuschelmäuse, die in dieser Stadt ihr Unwesen treiben, schickte Dietlinde eine Art Diät-Warnung: "Finger weg von der Buttercreme!" Die Frage ist, wen das außer Dietlinde und der dicken Kuschelmaus interessiert und ob die SMS nicht vielleicht aus der Feder ganz besonders talentierter C&A-Werbetexter stammen. Die Passanten jedenfalls hat die Werbe-Aktion nicht besonders interessiert.

Die brandneue Technik, die den Werbestrategen offenbar als Sahnetüpfelchen auf ihrem neu eröffneten Glaskasten erscheint, hat gerade an dieser prominenten Ecke Vorläufer. Schon seit den siebziger Jahren hoffen so die Besitzer vom Kudamm-Eck, dass man, vermittelt über einen flimmernden Schlüsselreiz, zu ihnen aufblickt. Die erste Version der großen Schautafel, von 1976 bis 1985 installiert, arbeitete noch mit Fernsehtechnik, was in dieser Größe nicht ganz problemlos funktionierte. Anfang Dezember 1988 war die Zweitlösung reif für den Knopfdruck zur Eröffnung. Über 100 000 farbige Würfel drehten und wendeten sich, setzten so Punkt für Punkt große farbige Bilder und Texte zusammen. Die Mechanik war ebenfalls störanfällig, irgendein Würfel klemmte immer. Der Supergau ereilte die Anlage aber am 8. Juli 1990, dem Tag der deutschen Fußballweltmeisterschaft. Begeisterte Massen strömten nach dem Sieg über Argentinien auf dem Kudamm zusammen, feierten alkoholbeschwingt den großen Tag. Leuchtraketen pfiffen durch die Luft, eine traf die Riesentafel und blieb zwischen zwei Würfeln stecken. Das Feuer, das dadurch ausbrach, bedeutete letztlich das Aus der danach nur noch teilweise ratternden Vorzeigetafel.

oom, ac

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