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So kann’s gehen: Kalender abschreiben

Immer wieder sonntagsfragen SieElisabeth Binder.

Lieber als in den Filialen großer Ketten kaufe ich in kleinen Buchläden, um sie zu unterstützen. Kürzlich hatte ich nicht bekommen, was ich wollte, blieb am Ausgang aber bei einem Engeladventskalender hängen, aus dem ich mir kurz Zitate notierte. Darauf schrie mich eine Dame an, dass das verboten sei. Bei den Ketten kann man aber doch auf bequemen Sofas sogar ganze Bücher durchlesen.

Sie sagen ja selber, dass Sie die kleinen Buchhandlungen unterstützen wollen. Also ist Ihnen bekannt, dass die es mitunter noch schwerer haben zu überleben als die großen Ketten. Dann werden Sie auch verstehen, dass die Nerven schon mal blankliegen können. Ein Büchlein oder ein Kalender mit nur 24 Sprüchen ist schnell komplett abgeschrieben. Also kann man verstehen, dass die Buchhändlerin um den entgangenen Verkauf trauert. Es wäre sicher klüger von ihr gewesen, Sie freundlich anzusprechen und beispielsweise darauf aufmerksam zu machen, dass dieses Büchlein auch käuflich zu erwerben ist und dass es sich viel angenehmer in der gebundenen Form liest als auf einem Notizzettel. Vielleicht hätte Ihr Schamgefühl dann zum umgehenden Kauf geraten. Denn natürlich möchte die Händlerin ihre Bücher verkaufen. Sie kann ja auch nicht wissen, dass Sie sonst immer so vorbildlich solidarisch handeln. In der Rolle der sparsamen Notizenmacherin haben Sie diesen Eindruck schlicht nicht erweckt, sondern standen in ihren Augen wie eine Schnorrerin da. Vermutlich kam es ihr ziemlich dreist vor, dass Sie sich die Notizen machen und das Büchlein, das sie schließlich noch verkaufen muss, dabei auch abnutzten. Vielleicht sollten Sie zum Zitatesammeln wirklich besser das anonyme Ambiente einer großen Kettenbuchhandlung wählen. Oder tatsächlich gleich in eine Bibliothek gehen. Es macht Ihnen ja auch selber keinen Spaß, schräg angeschaut zu werden. Und Sie verstehen bestimmt, dass eine Buchhändlerin, die hart um ihre Existenz kämpft, die professionelle Coolness auch mal verlieren kann.

Bitte schicken Sie Ihre Fragen mit der Post (Der Tagesspiegel, „Immer wieder sonntags“, 10876 Berlin) oder mailen Sie diese an:

meinefrage@tagesspiegel.de

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