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So kann’s gehen: Mit Anstand mehr Abstand

Immer wieder sonntagsfragen SieElisabeth Binder.

Aus beruflichen Gründen hatte ich unlängst an einer Hochschule zu tun. Mehrere Professoren rückten mir im Gespräch körperlich dermaßen auf die Pelle, dass ich mich extrem bedrängt fühlte. Da ich mit dem Rücken zur Wand stand, konnte ich nicht ausweichen. Wie hält man solche ungehobelten Herren auf Abstand, ohne unhöflich zu wirken?

Dass Sie sich bedrängt fühlten, ist sehr verständlich. Die Intimzonen des Menschen sind erforscht worden, dafür gibt es ganz klare Regeln. Die sogenannte soziale Zone reicht etwa von 1,20 bis 3,60 Meter. Das ist so der klassische Abstand zu Fremden, jedenfalls in unseren Breitengraden. In arabischen Ländern und auch in Süd- und Mittelamerika gelten andere Regeln. Wer hierzulande näher als eine Armlänge an einen Fremden oder flüchtigen Bekannten heranrückt, muss damit rechnen, Aggressionen zu wecken und dem anderen ungute Gefühle zu vermitteln. Ausnahmen gelten für den Friseur, den Arzt oder die Krankengymnastin.

Das sollte eigentlich jedermann wissen. Könnte es sein, dass Sie Ihre Gesprächspartner verärgert hatten und diese Sie gewissermaßen als Rache oder als Machtdemonstration extra an die Wand gedrängt haben? Das wäre eine Erklärung.

Bis zu einer Entfernung von 60 bis 80 Zentimeter dürfen nur engste Freunde oder nahe Verwandte vordringen. Das lässt sich in der S-Bahn zur Hauptverkehrszeit zwar nicht immer einhalten, aber da muss man sich ja nicht auch noch in die Augen sehen. Trotzdem spürt man auch bei überfüllten öffentlichen Veranstaltungen manchmal Unbehagen oder sogar Aggressionen hochsteigen. Wahrscheinlich waren Sie zu perplex, um die unangenehme Situation aufzulösen. Sie hätten doch sagen können: „Mir ist es zu eng hier, wollen wir ein Stück da rüber gehen?“ Dann hätten Sie zwar zugegeben, dass Ihnen die Herren Unwohlsein bereitet haben. Aber Sie wären aus der Opferrolle rausgeschlüpft und wieder Herrin der Situation geworden. Es ist falsch verstandene Höflichkeit, den hohen psychischen Druck, der mit einer solchen Terrainverletzung einhergeht, einfach auszuhalten.

Bitte schicken Sie Ihre Fragen mit der Post (Der Tagesspiegel, „Immer wieder sonntags“, 10876 Berlin) oder mailen Sie diese an:

meinefrage@tagesspiegel.de

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