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Berlin: So steht man eine Senatssitzung durch

Die Ex-Senatorin Ingrid Stahmer doziert jetzt an einer Fachhochschule – über Gruppendynamik

Über zwanzig Jahre war Ingrid Stahmer Politikerin. Sie war Genossin, Stadträtin, Senatorin, SPD-Spitzenkandidatin bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus 1995. Die Zeit, die sie in Gremien, Sitzungen, Konferenzen verbracht hat, dürfte nach Jahren zu bemessen sein, Jahre des Sitzens, Zuhörens, Redens, früher auch des Rauchens. Sozialpolitik in Charlottenburg, Sozialpolitik im rot-grünen Senat 1989/90, Sozial- und Jugendpolitik im schwarz-roten Senat 90/95, Komplett-Politik vor der Wahl 1995, Schulpolitik 96/99. Vor vier Jahren hatte Ingrid Stahmer genug von Gremien, Sitzungen, Konferenzen. Die gelernte Sozialarbeiterin und Fachfrau für Gruppendynamik macht seither als Unternehmerin Strategieberatung und Coaching. Seit Dienstag ist sie auch Honorarprofessorin an der Alice-Salomon-Hochschule für Sozialarbeit in Hellersdorf. Ihr erster Vortrag handelte von der „Gruppendynamik ungeliebter Zusammenkünfte“, also von Gremien, Sitzungen, Konferenzen.

Erstaunlich, wie schnell 18 lange Jahre bei solchen Veranstaltungen – man könnte noch Ausschusssitzung und Parteitage hinzufügen – auf der Metaebene zu verdichten sind: Ganz gleich, ob Walter Momper oder Eberhard Diepgen die Senatssitzung leitete, ob der SPD-Landesvorsitzende Jürgen Egert oder Ditmar Staffelt hieß – sie sei oft gefragt worden, wie sie diesen Betrieb „ausgehalten“ und dabei „normal“ geblieben sei, sagte Ingrid Stahmer am Dienstag. Die heute wie damals uneitle Ex-Politikerin hatte so etwas wie eine Überlebensregel Nummer eins, die sie in jeder ungeliebten Zusammenkunft anzuwenden sich mühte: „Immer wenn ich das aushalten musste, habe ich versucht, daraus etwas zu machen.“

Das klingt einfach, setzt allerdings ein klar formuliertes Ziel voraus. Ingrid Stahmer hat, daran ließ sie keinen Zweifel, genug „Machtkämpfe, Schaukämpfe, Schauläufe“ miterlebt, um zu wissen, dass ein „Ziel“ dahinter verschwinden kann – doch auf dem wissenschaftlichen Hochplateau wollte sie von den Macho–Ritualen nicht sprechen, die in Senatssitzungen oder im SPD-Landesvorstand womöglich ablaufen.

Die neuen Kollegen an der Fachhochschule forderten die durch so viel Gremien, Sitzungen, Konferenzen Geschrittene und Geschliffene auch nicht auf, die Wunden aus dem Fegefeuer der Eitelkeiten zu beschreiben. So blieben vor allem erste Erkenntnisse über Gruppendynamik, die immer da ist, aber zum Erliegen kommen kann. Und es blieb die Überlebensregel Nummer zwei der Ingrid Stahmer: „Auch wenn ich sehr verzweifelt war“, sagte sie sich selbst: „bitte bloß nicht den Humor verlieren“.

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