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Hindukusch

© ddp

Soldaten: Namenlose Kämpfer

Bundeswehr-Soldaten, die aus Afghanistan nach Hause kommen, bleiben mit ihren Erlebnissen oft allein. In der Heimat stoßen sie auf Unverständnis und Ablehnung. Viele wollen deshalb anonym bleiben.

Am heutigen Sonntag, dem Volkstrauertag, gedenken die Deutschen der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. In den Kirchen, an Gedenkstätten und den Gräbern von Soldaten und Kriegsopfern. Zur selben Zeit stehen Bundeswehrsoldaten in Afghanistan in einem bewaffneten Konflikt – und riskieren dafür ihr Leben. Ein hoher Einsatz. Doch in der Heimat fühlen sich viele Soldaten mit ihren Gewissenskonflikten, ihren Ängsten und den Belastungen des Kampfeinsatzes allein gelassen. Statt Anerkennung und Respekt schlägt ihnen Unverständnis, auch offene Ablehnung, im besten Fall schamhaftes Schweigen entgegen. Eine Scham, die auf die Soldaten und ihre Familien abfärbt. Die Afghanistan-Soldaten und ihre Angehörigen, die wir für die folgende Geschichte besucht haben, waren nur bereit, unter Wahrung ihrer Anonymität mit dem Tagesspiegel zu sprechen.

Als Marco S. im März dieses Jahres von seinem viermonatigen Einsatz in Afghanistan nach Berlin zurückkehrt, ist der 29-jährige Offizier der Bundeswehr voll von Erlebnissen und Eindrücken: Er könnte erzählen, wie fremd ihm das kriegsversehrte Land bei seiner Ankunft im November 2008 vorkam – die zu dünn angezogenen Kinder, die Armut, die Schotterpisten, der Dreck auf den Straßen, das Tierfleisch, das an Hausecken baumelt. Oder wie sehr ihn das Gefühl bedingungsloser Kameradschaft auf seinem Stützpunkt in der Provinz Takhar beeindruckt und geprägt hat. Aber auch, wie oft er Todesgefahren ausgesetzt war und welche Angst er um sich und seine Kameraden tagtäglich aushalten musste. Doch kaum einer von Marcos alten Freunden aus der Schule und dem Sportklub interessiert sich für seine Erlebnisse. Und auch viele Verwandte wollen lieber nichts Genaues über seinen Einsatz hören. Beim Wiedersehen sagen sie: „Schön, dass du wieder da bist.“ Dabei ist ihr Gesichtsausdruck beklommen, sogar ein bisschen beschämt. Und dann wenden sie sich schnell anderen, unverfänglicheren Gesprächsthemen zu.

Heute, mehr als ein halbes Jahr später, sitzt Marco S. mit seinen Eltern in deren Wohnzimmer in einem Einfamilienhaus in einer Kleinstadt nahe Berlin und berichtet von seiner Zeit als Offizier für zivil-militärische Zusammenarbeit in Afghanistan und von seiner Rückkehr nach Berlin. Neben ihm auf der Couch sitzt seine Freundin Marie L., die im Frühjahr 2007 ebenfalls als Zeitsoldatin am Hindukusch stationiert war und dort schwere Panzerfahrzeuge gefahren hat. Den beiden gegenüber hat Major Hans-Christian Köhnke Platz genommen. Der Stabsoffizier für Öffentlichkeitsarbeit wohnt dem gesamten Gespräch bei und hat die Neigung, manche Äußerung zum vermeintlich besseren Verständnis gern noch mal mit seinen eigenen Worten zu interpretieren. In dieser Umgebung, unter den liebevollen Blicken seiner Eltern, begleitet vom Schnurren der Katze vor dem Kamin, erzählt Marco S. seine Geschichte.

Wie es für ihn ist, im Ausland eine extrem entbehrungsreiche Aufgabe übernommen zu haben für etwas, woran er glaubt – Friedenssicherung, Aufbauhilfe, Terrorbekämpfung – und dafür bei vielen Menschen, die ihm wichtig sind, kaum Anerkennung zu finden. Noch nie hat jemand „Toll!“ oder „Was ihr geleistet habt, war notwendig“ zu ihm oder seiner Freundin gesagt. Stattdessen gucken manche böse und sagen: „Was wollen wir Deutschen eigentlich dort?“

Viele Experten – außerhalb der bundeswehreigenen wissenschaftlichen Institute und Einrichtungen – halten diesen Mangel an Empathie und Anerkennung, der heimkehrenden Soldaten entgegenschlägt, für ein deutschlandweites Phänomen: Denn über dreißig Jahre haben Politik und Bundeswehr dafür gesorgt, dass das Leitbild des Soldaten das eines „Bürgers in Uniform“ ist, der uniformiert im Straßenbild so gut wie nie und nur mal im Fernsehen bei Oder- und Elbehochwasser beim Sandsack-Schleppen zu sehen ist. „Nun, wo die jahrelange ,Kultur der Zurückhaltung‘ dem Prinzip der ,Verantwortung in der Welt‘ gewichen ist, rächt sich diese Verschleierungstaktik, und vielen Menschen wird erstmals schmerzlich bewusst, dass ein Soldat zum Töten ausgebildet wird“, sagt der Münchner Historiker und Publizist Detlef Bald, der mehrere Bücher über die Bundeswehr und ihre Geschichte geschrieben hat.

„Es ist, als würden die Menschen langsam aus einem schönen Traum aufwachen“, beschreibt auch ein Angehöriger der Bundeswehr, der anonym bleiben möchte, die jetzige Situation, für die eine Titelzeile auf „Spiegel online“ vom 3. November zu einem Bericht über den Afghanistan-Einsatz symptomatisch ist: „Guttenberg spricht das K-Wort aus.“ Der Insider sieht diese Problematik der Verdrängung sogar auf die Ausbildung und mehrmonatige Vorbereitung der Soldaten auf einen militärischen Auslandseinsatz ausgeweitet: „Die Bundeswehr vermeidet es bis heute, klar zu sagen und zu zeigen, welche Gewalt die Soldaten in Afghanistan erwartet.“ So lässt sich vielleicht erklären, dass sowohl Marco S. als auch seine Freundin Marie L. von ihren ersten Tagen in Afghanistan wie von einem „Film über das Mittelalter“ sprechen, der an ihren fassungslosen Augen vorbeizieht.

Wie Marco S. haben auch seine Eltern viel Ablehnung erfahren, wenn sie im Familien- und Bekanntenkreis erzählt haben, dass ihr Sohn im Auslandseinsatz ist: „Ein Bekannter wäre mir deshalb an der Supermarktkasse mal fast an die Gurgel gesprungen“, erzählt Monika S. Als die Eltern einen Aufkleber an ihrem Auto anbringen, der signalisiert, dass sie auf einen geliebten Menschen im Auslandseinsatz warten, wird der Sticker nach kurzer Zeit von Unbekannten abgekratzt. Nach und nach lernen die 50-jährige Pädagogin und der 57-jährige Softwareberater, den Mund zu halten und auch innerhalb der eigenen Familie nicht mehr viel von Marcos Einsatz zu erzählen: Das fehlende Interesse und Mitgefühl schmerzt sie, und die teils radikal geäußerte Ablehnung macht ihnen Angst. Deshalb möchte die Familie auch nicht unter ihrem richtigen Namen in die Öffentlichkeit treten: „Ich möchte, dass andere erfahren, wie es Soldatenfamilien geht, und wir wollen anderen Familien in dieser Situation Mut machen. Aber wir haben genug Angst ausgestanden – ich muss nichts provozieren“, sagt Monika S.

Auch Herfried Münkler, Politologe an der Humboldt-Universität, hält die beschriebenen Reaktionen innerhalb der deutschen Bevölkerung für typisch: „Sie zeigen die Unfähigkeit unserer westlichen, postheroischen Gesellschaft, die Weggegangenen und ihre Angehörigen psychisch aufzunehmen“, sagt der 58-Jährige. Er vermutet, dass Soldaten in den östlichen Bundesländern, dort, wo eine relativ große Anhänglichkeit an die alten sozialistischen Strukturen und die pazifistisch orientierte Politik der Linken vorhanden ist, möglicherweise noch stärker stigmatisiert werden. Obwohl sich gerade aus solchen strukturschwachen Gebieten besonders viele junge Männer als Zeitsoldaten bei der Bundeswehr verpflichten, in der Hoffnung, damit Ausbildungsplatzmangel und Arbeitslosigkeit zu entgehen.

Die spezifische Geschichte West-Berlins als einer bis 1990 entmilitarisierten Zone, wo zahlreiche Wehrdienstflüchtlinge Zuflucht fanden, trägt eventuell zusätzlich dazu bei, dass die rund 3500 hier stationierten Zeit- und Berufssoldaten sowie die über 1200 Grundwehrdienstleistenden einen schwereren Stand in der Bevölkerung haben als anderswo in Westdeutschland, wo die Wehrpflicht seit 1956 gilt. Vielleicht sind auch deshalb in der U 6 in Richtung der in Wedding gelegenen Julius-Leber-Kaserne, in der 1500 Soldaten stationiert sind, nur selten Uniformierte zu sehen. Auch die ehemaligen Wehrdienst-Flüchtlinge dürften für die Erlebnisse eines Soldaten aus dem Familien- oder Freundeskreis kaum ein offenes Ohr haben. Vor allem nicht, wenn jener zu den rund 700 Berliner Soldaten gehört, die zurzeit Auslandseinsätze in Afghanistan, im Kosovo, in Bosnien-Herzegowina und bei der Marine leisten.

„Dabei führt diese Verdammung zum Schweigen darüber, dass sich die posttraumatischen Belastungsstörungen vieler Soldaten verstärken“, meint Münkler. Entsprechend können Gespräche mit empathischen, nicht urteilenden Personen viel Gutes bewirken. Denn der Schritt zurück in die vergleichsweise heile Welt in Deutschland ist für die meisten Soldaten trotz eines vorgeschriebenen dreitägigen Nachbereitungsseminars alles andere als leicht. Wenige Tage, nachdem Marco S. nach Berlin zurückgekehrt war, wäre er innerlich fast explodiert, als er einen Strafzettel erhielt, nur weil er ein paar Minuten unerlaubt vor seinem Haus geparkt habe. „Da fragt man sich unweigerlich, welche Probleme wir hier eigentlich haben“, sagt er leise. Nach seiner Rückkehr will er viel allein sein, schottet sich regelrecht ab: Freundin und Eltern haben Angst um seine psychische Gesundheit.

Über seinen Einsatz in Afghanistan wissen sie wenig, bei Telefonaten durfte Marco S. aus Sicherheitsgründen nichts über die Arbeit im Krisengebiet erzählen. Im Groben wissen die Eltern nur, dass er dafür zuständig ist, in den Dörfern Lageberichte über die Situation der Bevölkerung zu erstellen, ihren Mangel an Nahrung und Brennmaterial zu protokollieren. Wenn sie in den Medien von toten oder verwundeten Soldaten hören, rufen sie die 24-Stunden-Hotline des Berliner Familienbetreuungszentrums in der Julius-Leber-Kaserne an, wo zurzeit rund 1000 Angehörige von Soldaten im Auslandseinsatz betreut werden. „Wir haben jedes Mal Ängste ausgestanden, bis man uns sagen konnten, dass Marco nicht unter den Opfern ist“, sagt Vater Paul.

Einzelheiten von den Sprengfallen, die feindliche Guerilla-Gruppen an der Straße deponieren, den Selbstmordattentaten und Raketenanschlägen erfahren die Eltern erst Wochen nach Marcos Rückkehr. Und noch immer hat er wohl längst nicht alles erzählt. So erwähnt er an diesem Abend zum allerersten Mal, dass bei einer Nachtpatrouille mal eine Kugel an seinem Kopf vorbeigezischt ist. Dem entsetzten Blick seiner Mutter weicht er bei diesen Worten aus.

Solche Gespräche mit seinen Eltern und seiner Freundin, Zeit, Zuwendung, Sport und ein Kurzurlaub an der Ostsee haben Marco S. letztendlich geholfen, einen Teil seiner Erlebnisse zu verarbeiten. Nun freuen sich alle sehr auf das erste Weihnachtsfest, das sie wieder gemeinsam verbringen. Seit kurzem studiert Marco S. Betriebswirtschaftslehre an einer Berliner Hochschule – eine Laufbahn als Berufsoffizier strebt er nach zehn Jahren Wehrdienst nicht mehr an. Später würde er gern in der Verwaltung im Bereich Sicherheitsfragen arbeiten. „Ich glaube, dass meine Zeit in Afghanistan eine gute Vorbereitung darauf war“, sagt Marco S. Seine Familie aber freut sich vor allem, dass er seine zukünftige Tätigkeit am Schreibtisch ausüben möchte. Davon können sie Verwandten und Bekannten dann auch ohne Angst berichten.

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