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Berlin: Soli-Döner für den Wiederaufbau

Erneut gab es einen Anschlag auf die Imbissbude von Ismail Kilic. Und wieder helfen ihm Einwohner seiner Heimatstadt Ortrand.

Von Sandra Dassler

Ortrand - Vor fünf Jahren ist Orlando Ort aus dem kleinen südbrandenburgischen Städtchen Ortrand weggezogen. „Ich hatte die Wahl“, sagt der 29-Jährige, „weiter arbeitslos in der Heimat oder ’nen gut bezahlten Job in Bayern. Hab’ mich hier inzwischen gut eingelebt. Aber als ich das von Ismail gehört hab’, wär’ ich am liebsten sofort losgedüst, Richtung Ortrand.“

„Das mit Ismail“ hat Orlando Ort von seiner Schwester erfahren. Die hatte vergangene Woche in der Zeitung gelesen: „Erneut Brandanschlag auf Dönerbude in Ortrand – Imbiss wurde bereits 2006 angezündet“. Orlando Ort ist sich ziemlich sicher, dass es damals wie heute Rechtsextreme waren, die seinen türkischen Freund Ismail Kilic nicht leiden können. Aber damals wie heute gab und gibt es dafür keine Beweise. Die Täter wurden bisher nicht gefunden, die Polizei schließt einen rechtsextremen Hintergrund gleichwohl nicht aus.

Diesmal ist es wenigstens glimpflich abgegangen. Anwohner hatten das Feuer in dem Containerwagen gegen Mitternacht entdeckt und die Feuerwehr alarmiert. So wurden nur der Lüftungsschacht und die Ablufthaube zerstört. Der Schaden beträgt etwa 5000 Euro. Und Ismael Kilic verkauft schon wieder Döner.

Am 23. Juni 2006 hingegen war der Imbiss komplett ausgebrannt. Der türkische Familienvater stand vor dem Nichts: Er hatte keine Versicherung, weil nach mehreren Übergriffen auf den Imbiss alle Versicherungsgesellschaften abgewunken hatten. Orlando Ort schaute am nächsten Tag fassungslos auf die verkohlten und verschmorten Überreste seines Lieblingsdönerimbisses. Gemeinsam mit seinen Freunden Alexander Köhler und Carsten Gückstock versprach er Ismail Kilic ganz spontan: „Wir bauen das wieder auf.“ Zeit hatten die jungen Männer genug, sie waren alle drei arbeitslos. Und so werkelten sie von morgens bis abends. Immer mehr Ortrander kamen hinzu, auch Sarah Schütze, eine damals 16-jährige Schülerin. Sie hatte, als das Geld immer noch nicht reichte, die Idee, ein Benefizkonzert mit Jugendbands aus der Gegend zu organisieren. 1700 Euro kamen zusammen und irgendwann konnte Ismail seine neue Imbissbude eröffnen.

Sarah Schütze wurde ein halbes Jahr später stellvertretend für alle durch den damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler geehrt, ihre Mutter Sylvia Schütze hat es, erzählt sie, „einen Stich ins Herz“ gegeben, als sie letztes Wochenende wieder die Feuerwehr an Ismails Imbissbude gesehen hat: „Da kam alles wieder hoch. Und ich hab’ so’ne Wut, dass die immer noch nicht aufhören.“ Ihrer Tochter hat Sylvia Schütze die Nachricht auch sehr schonend beigebracht. Sarah Schütze arbeitet inzwischen in Würzburg als Hotelfachfrau. Auch die anderen „Aufbauhelfer“ von damals sind aus Ortrand weggezogen, weil sie anderswo Arbeit gefunden haben, erzählt Ismail Kilic: „Das waren sehr gute Freunde“, sagt der Türke, der vor mehr als zehn Jahren nach Ortrand kam. Seine beiden Kinder sind hier aufgewachsen, die Familie fühlt sich wohl. „Ortrand ist meine Heimat“, sagt Ismail Kilic: „Fast alle Menschen kommen gern zu mir und von den wenigen Kriminellen lass’ ich mir keine Angst machen. Und mich schon gar nicht von hier vertreiben.“

Warum auch? In ein paar Tagen wird der Bürgermeister mit der gesamten Stadtverwaltung zum Solidaritäts-Döner-Essen in der Imbissbude anrücken.

Und auch für Orlando Ort, Sarah Schütze und die anderen Helfer von damals haben sich würdige Nachfolger gefunden: Heute 16- und 17-jährige Ortrander wollen sich demnächst in Ismails Imbissbude treffen. Und zehn statt drei Euro für ihren Döner zahlen.

Verabredet hat sich die nächste Generation natürlich über Facebook.

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