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Berlin: Sollen Jugendliche die Bezirksverordneten wählen dürfen?

Jugendliche haben ein gutes Gefühl für flache Phrasen und billige Anbiederei. Ein Pop-Beauftragter der SPD, der hüftsteif herumstakst, ein Christdemokrat, bei dem man meint, er sei schon mit Aktentasche geboren worden und der trotzdem behauptet, mal ein ganz fetziger Mofa-Anarcho gewesen zu sein, werden bestenfalls mitleidig belächelt.

Jugendliche haben ein gutes Gefühl für flache Phrasen und billige Anbiederei. Ein Pop-Beauftragter der SPD, der hüftsteif herumstakst, ein Christdemokrat, bei dem man meint, er sei schon mit Aktentasche geboren worden und der trotzdem behauptet, mal ein ganz fetziger Mofa-Anarcho gewesen zu sein, werden bestenfalls mitleidig belächelt. So jedenfalls bringt man junge Menschen nicht dazu, sich für Politik zu interessieren oder zu engagieren. Das geht am besten dort, wo die Jugendlichen aufwachsen, die Probleme ihrer Bezirke kennen und im Alltag ihre Erfahrungen machen mit Behörden und Ämtern. Am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, dass muss man lernen – ebenso wie Mathematik, Fremdsprachen oder eben politische Weltkunde. Auf kommunaler Ebene mit 16 Jahren wählen zu dürfen, ist eine Chance, um zu verhindern, dass die Partei der Nichtwähler stärkste Partei in Deutschland wird. Je frühzeitiger jungen Menschen Verantwortung zugetraut wird, desto leichter können sie erfahren, dass bürgerschaftliches Engagement und politische Artikulation unverzichtbar für eine Demokratie sind. Wählen gehen und im eigenen Bezirk sehen, was aus den Versprechungen der Parteien wird, das lehrt, bewusst mit der Stimme umzugehen. Wer Angst hat, Jugendliche könnten die „falsche“ Partei wählen, dem sei gesagt: Davor sind auch Erwachsene nicht gefeit.

Mag sein, dass sich Jugendliche heute früher verlieben, dass sie schneller selbstständig werden, sich früher in der Welt zurechtfinden und eher denn je mobiltelefonieren. Und vielleicht interessieren sich viele von ihnen wirklich für Politik, obwohl Politik oft wirkt wie eine Endlos-Serie von Ideen für hysterische „Brennpunkt“-Sendungen. Das alles begründet nicht, warum Jugendliche wählen sollen, bevor sie volljährig sind. 18-Jährige haben heute wie früher einen Sinn dafür, dass sie jetzt erwachsen sind, und so wird es auch gewesen sein, als man erst mit 21 volljährig war. Das Leben wird mit 18 ein wenig ernster, man darf fast alles, kann mehr falsch machen – und haftet dafür. Man ist immer noch wunderbar jung, und die meisten 18-Jährigen werden erheblich idealistischer denken, als die 18-jährige Maggie Thatcher vermutlich gedacht hat. Aber die Neigung, die Welt und die Politik eher nach Wille und Vorstellung zu bewerten als nach ein paar schlichten und manchmal hässlichen Zusammenhängen, macht Jugendliche manipulierbar. Womöglich nicht manipulierbarer als Rentner, denen einen Rentenkürzung droht. Doch ist das kein Grund, 16-Jährige mit dem Wahlrecht zu beschenken und die Gruppe derer zu vergrößern, die nach aller Erfahrung eher gefühlsmäßig als vernünftig an die Politik herangehen. Vernunft gibt es in der Politik schon jetzt viel zu wenig. Werner van Bebber

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