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Grünflügelpapagei "Gustav" im Biergarten "Alte Fischerhütte" am Ufer vom Schlachtensee Zehlendorf.

© Thilo Rückeis

Sonne in Berlin: Erstes Frühlingswochenende schon im Februar

Plötzlich ist die dunkle Zeit vorbei: Die Stadt bekommt ihre Konturen zurück – und die Städter ihr Wohlgefühl.

Es gibt genau zwei Wochenenden im Jahr, an denen selbst durch und durch vernünftige Berliner Wundersames tun. Sie chillen und grillen in zu dünnen Sachen, selbst Nichtradler radeln mit Picknickdecken zu Gewässern, andere liegen mit freiem Oberkörper in den Parks. Und sind dabei auch objektiv zu dünn angezogen.

Denn an den betreffenden Wochenenden sind kaum mehr als 16, 17 Grad. Temperaturen also, bei denen man im Sommer fluchend die Outdoorjacke überwerfen würde. Das erste dieser beiden Ausnahmewochenenden liegt meist um Ende März – und in diesem Jahr schon mitten im Februar, nämlich jetzt und hier.

Es ist die Sonne, die die Leute blendet, oft in Kombination mit den Wettervorhersagen jener notorisch aufgedrehten Morgensendungsmoderatoren, die ab der dritten Schäfchenwolke von Mistwetter reden, von dem man sich aber die gute Laune nicht verderben lasse, und einem damit die Laune verderben können. Das zweite Wochenende der himmelblauen Verblendung folgt dann Mitte Oktober, wenn bei ähnlichen Temperaturen allen klar ist, dass es so schön erst wieder in einem halben Jahr wird. Auf dem Winterhalbjahr beruht wohl der Zauber des Alles-muss-raus-Phänomens: Berliner Winter sind entweder nasskalt oder nur kalt, aber nie schön. Die Leidenszeit beginnt meist mit dem Tag, an dem das Herbstlaub zu schwer wird zum Fliegen und als brauner Brei zusammenpappt.

Sonne im Februar: Spaziergänger an der Krummen Lanke in Zehlendorf.
Sonne im Februar: Spaziergänger an der Krummen Lanke in Zehlendorf.

© Thilo Rückeis

Im Advent wird die Misere von Lichterglanz leidlich überstrahlt, der Januar lässt sich als üble Laune der Natur noch irgendwie erdulden, aber spätestens nach den Winterferien reicht es dann wirklich. Im März mosern alle, wenn statt Frühlings in der Luft noch immer nur Splitt auf den Straßen liegt. Da baut sich eine Erwartungshaltung auf wie bei Kindern am Nachmittag des Heiligabends. Nur dass der Frühling eine längere Anfahrt hat als der Weihnachtsmann. In diesem Jahr scheint uns diese Wartezeit erspart zu bleiben. Stattdessen saßen schon am Freitag manche von denen, die sonst in der neonfahlen U-Bahn Zug abbekommen hätten, entfaltet in der Mittagssonne: Nase nach Süden, Augen zu, Mundwinkel leicht nach außen – und dann einfach die Wärme der Strahlen auf der Haut fühlen.

Fenster aufmachen, statt putzen

Während sonst jedes Grüppchen sein Süppchen kocht und selbst sicher geglaubte Werte wackeln, steht dieser Konsens so fest wie der Mittelpunkt des Universums: Brüder, zur Sonne, zur Freizeit! Die vom monatelangen Kopfeinziehen verspannten Schultern lockern sich ganz von selbst. Das tut sich nicht nur gut, sondern erleichtert es auch, Mitmenschen ins Gesicht zu sehen und dabei vielleicht sogar freundlich zu schauen. Der Effekt kann sich potenzieren, wenn solch ein Blick ein Gegenüber mit ähnlichem Befinden trifft. Dabei ist ja noch längst nicht Frühling: Die Bäume sind kahl wie vergangene Woche, das Gebälk der Schattenbanken noch mittags nass vom Reif der Nacht davor. Der entscheidende Unterschied ist, dass nach Monaten der Finsternis das Licht wieder angegangen ist. Es ist wie der Übergang vom Schwarz-Weiß- zum Farbfernsehen. Plötzlich bekommen Dinge Konturen und Nuancen, die bisher nur öde Klötze waren. Fassaden reflektieren die Strahlen der noch tief stehenden Sonne bis in die dunkelsten Ecken, und selbst manche jener Gebäude, die geschmackspolizeilich verboten gehörten, können mit überraschenden Schattenwürfen oder Effekten gnädig stimmen.

Die Kunst für den Einzelnen besteht darin, die Energie des Lichts zu absorbieren und dabei positiv aufzuladen. Wenn also die Fenster Trübsal blasen, weil sie gern mal wieder geputzt würden, kann man sie einfach aufreißen und die Wohnung mit Vitamin D fluten. Oder man sucht sich die Arbeit draußen wie jener Mann am Freitag in der Argentinischen Allee, der sich auf den Traumwagen aller Hausmeister geschwungen hatte und mit dem Aufsitzmäher so tat, als würde er den Rasen schneiden, obwohl es eher das 2018er-Laub war als 2019er-Gras.
Hoffentlich hat er nicht die Krokusse gemeuchelt, die in diesen Tagen einmal mehr das Wunder vollbringen, lila und gelbe Knospen aus dem von Tausalz durchseuchten, gerade noch gefrorenen Boden der Mittelstreifen ans Licht zu schieben. Das ist ein Wunder wie das Überleben der Vögel, die im noch kahlen Geäst singen: Wie zehn Gramm Meise mit 42 Grad Körpertemperatur in einer Hecke fünf Monate Berliner Wintersuppe überstehen – Respekt!
Natürlich kommt die Aufwallung des Frühlings im Februar zu früh. Aber was soll’s: Sie kommt rechtzeitig zum Wochenende und erspart uns obendrein die meteorologischen Raketenstarts der vergangenen Jahre, die uns im April immer erst frieren und dann schwitzen lassen haben. Wer also jetzt nicht zufrieden ist, dem ist schwer zu helfen. Obwohl, doch: Ab in die Sonne! Wirkt garantiert.

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