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SONNTAGS um zehn: Ablegen und aus dem Alltag schippern Die Berliner Stadtmission predigt auf der MS Bellevue

Für einen kurzen Moment hätte Pfarrer Ernst-Otto Menn fast das Gleichgewicht verloren. Als das dicke Schiffstau über der Reling landet, kommt der Motor der MS Bellevue unerwartet schnell in Schwung.

Für einen kurzen Moment hätte Pfarrer Ernst-Otto Menn fast das Gleichgewicht verloren. Als das dicke Schiffstau über der Reling landet, kommt der Motor der MS Bellevue unerwartet schnell in Schwung. Menn wippt vor und zurück, stützt sich mit einer Hand auf dem Altar ab. „Wenn wir ablegen, geht es wohl nicht ohne Turbulenzen zu“, sagt Menn.

Rund einhundert Menschen sind zum Gottesdienst der Berliner Stadtmission auf das Ausflugsschiff MS Bellevue gekommen. Als ob jemand einen unsichtbaren Wegweiser aufgestellt hätte, nehmen rechts vom Altar die Berlinbesucher Platz, links sitzen die Einheimischen. Ganz vorne hängt Harald Wenz seine Jeansjacke über den Stuhl. Harley Davidson ist auf einer Kragenseite seines schwarzen Hemdes eingestickt. In den Reihen hinter Wenz verteilt sich eine Gruppe von Soldaten aus Oldenburg, daneben kramt eine Amerikanerin ein deutsches Wörterbuch aus ihrem Rucksack. „Kirche auf dem Schiff lockt auch die an, die sich vor Kirchenmauern scheuen“, sagt Menn. „Selbst bei einer kurzen Fahrt auf der Spree kann jeder die schweren Dinge des Alltags zurücklassen“, fügt der Pfarrer hinzu. Die Ausstattung für den Gottesdienst auf dem Wasser ist schlicht: ein paar Sonnenblumen auf dem Altar, eine Elektroorgel. Menn spielt Gitarre, seine Tochter Lea singt die Lieder am Mikrofon vor.

Genauso schnörkellos ist Menns Botschaft. Er zitiert aus der Bergpredigt. „Ihr seid das Salz der Erde“, sagt Menn. „Ohne die Menschen ist die Welt fade und ungenießbar.“ Viele nicken, als Menn davon erzählt, wie ersetzbar der Mensch ist: Der Chef holt sich einen neuen Mitarbeiter, Freundschaften sind schnell beendet, wenn es kompliziert wird. „Es ist klug, wenn der Mensch nicht zuerst an sich denkt“, sagt Menn. „Anders machen wir die Welt kaputt.“

An diesem Sonntagmorgen ist viel los auf der Spree. Die Wasserschutzpolizei ist unterwegs, Ausflugsschiffe machen die ersten Touren durchs Regierungsviertel, dazwischen kleine Motorboote. Während Menn die ersten Akkorde eines Taizé-Liedes anstimmt, fährt das Partyboot von Eisern Union vorbei. „ I can’t get no satisfaction“ von den Rolling Stones dröhnt herüber. Menn wartet, blickt in die Runde. Dann stimmt er erneut sein Lied an. Tanja Tricarico

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