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SONNTAGS um zehn: Beten und Beatles

Eine Kreuzberger Gemeinde begrüßte die Fastenzeit

Die Glogauer Straße in Kreuzberg liegt nahe dem Görlitzer Park, an der Grenze zu Neukölln. Eine gewöhnliche Wohnstraße mit gewöhnlichen Wohnhäusern. Nur ein Gebäude mit zwei großen Torbögen ragt heraus. In seinem Innenhof steht aus Backstein die evangelische Marthakirche, in der ein ungewöhnlicher Gottesdienst abgehalten wird.

Aus der Kirche ertönen weltliche Klänge, trotz Orgel unverkennbar die Filmmusik von „Amelie“. Pfarrerin Monika Matthias, in weißem Gewand und lila Stola, grüßt die Gläubigen, die auf Holzstühlen im Halbkreis unter einer Glaskuppel sitzen. Drinnen sind fast alle Stühle besetzt, Kinder, Eltern und junge Erwachsene sitzen darauf. Die meisten tragen den „Kreuzberg-Look“, alternativer Schick mit Baumwollpullis, Leinenröcken, Lederschuhen, Wollmänteln. „Herzlich willkommen zur Fasten- und Passionszeit“, sagt Pfarrerin Monika Matthias. „Im heilsamen Rhythmus des Kirchenjahres laden wir Sie sieben Wochen vor Ostern ein, in die Wüste zu gehen.“

Sieben Konfirmanden haben den Gottesdienst vorbereitet. Sie übersetzen die Versuchungen, mit denen der Teufel Jesus in der Wüste locken wollte, in die Gegenwart. Einer nach dem anderen tritt ans Mikrofon und benennt die eigenen Versuchungen, denen die Jugendlichen in Kreuzberg erliegen. Sie heißen Drogen, Handy, Computerspiel, Gruppenzwang oder schlechtes Benehmen, um „cool“ zu sein. Für die Fastenzeit haben sie Vorsätze wie „fünf Minuten Stille am Tag“, die Familie „weniger anmeckern“, Joggen gehen, mehr Obst essen und Wasser trinken. Und wenn es nicht klappt, dann müssen die Ziele eben etwas kleiner gehalten und neu angegangen werden, sagt Pfarrerin Matthias.

Der Gottesdienst ist besinnlich, es wird viel gesungen. Am Ende spielt Kirchenmusiker Uli Domay auf dem Flügel den Beatles-Song „Imagine“. Pfarrerin Matthias ist der Bezug zur Gegenwart wichtig. Die Schwäbin ist seit 20 Jahren Seelsorgerin in Kreuzberg. Stolz ist sie auf die emanzipatorische Frauenarbeit ihrer Kirche. Diese erkennt man schon von außen: Auf den Fenstern sind nicht wie üblich Männer, sondern weibliche Figuren aus der Bibel zu sehen. Die Reliefs zeigen Stationen von Jesus, in denen Frauen eine Rolle spielten.

Nach dem Gottesdienst lädt die Pfarrerin immer zum Gespräch ins Erdgeschoss. In einem Zimmer steht für die rund 30 Gläubigen Kaffee und Tee bereit. „Mein Konfirmationsunterricht war nicht so prickelnd“, sagt ein Mann. Ein anderer ist froh über die Entmystifizierung des Teufels als Versucher, der in seiner Familie immer bedrohlich gezeichnet wurde. Eine Frau bezeichnet den Gottesdienst als „Gesamtkunstwerk“. Viele nicken, „ja, das passt“. Ferda Ataman

Ferda Ataman

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